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Weitere Freilassungen als Zeichen guten Willens

■ Mit der Freilassung von weiteren 21 Geiseln durch links- und rechtsgerichtete Kommandos waren gestern die Hoffnungen auf ein Ende der Krise gestiegen

Während am Mittwoch morgen die Befreiung der letzen zehn Geiseln offenbar unmittelbar bevorstand, kam die nicaraguanische Gerüchteküche noch einmal richtig in Gang. Der Recontra-Chef „Northiel“ soll mit 800 Mann von seinem Lager in Honduras aufgebrochen sein, um seinem Kollegen „Schakal“ zu Hilfe zu eilen. Die Meldung wurde von offizieller Seite bald dementiert, zumal „Northiel“ bestenfalls 80 Mann kommandiert. Dokumentiert ist aber der Brief einer Gruppe von Exilnicaraguanern in Miami, die US-Präsident Bill Clinton um die Entsendung einer Interventionstruppe gebeten haben. Ausdrücklich bezogen sie sich auf die Präzedenzfälle von Grenada 1984, Panama 1989 und Kuwait 1991. Eine Interventionstruppe im kleinen Stil soll, wie am Dienstag Medien in den USA meldeten, bereits unterwegs sein – im Auftrag von Deborah de Moss, der extremistischen Assistentin des ebenfalls extremistischen Senators von North Carolina, Jesse Helms. Und die inzwischen als Partei organisierten ehemaligen Contras erklärten sich solidarisch mit den Forderungen des „Schakal“ und drohten an, auch sie würden, wenn nötig, die Waffen wieder ausgraben.

Trotz solch bedrohlicher Berichte zeichnete sich fünf Tage nach Beginn der Geiselaffäre ein unblutiges Ende ab. Die Regierung hatte nach längerem Zögern den von den Geiselnehmern als Vermittler gewünschten Kardinal Obando y Bravo gebeten, sich einzuschalten. Obando, dessen öffentliche Auseinandersetzung mit dem Minister im Präsidialamt, Lacayo, über der Frage des Verbleibs von Armeechef Humberto Ortega noch in frischer Erinnerung ist, begab sich am Dienstag nach Quilali im Norden des Landes, um den „Schakal“ zur Freilassung seiner Geiseln zu bewegen. Der dort vorgeschlagene Deal sah vor, daß die letzen Geiseln bedingungslos auf freien Fuß gesetzt würden, daß aber die politischen Forderungen von der Regierung im Beisein neutraler Beobachter diskutiert würden. „Schakal“ ließ die Delegation erst einmal fünf Stunden warten, weil sich seinem Ermessen nach die Armee noch nicht weit genug vom Ort des Geschehens zurückgezogen hatte. Zur Unterhaltung der Regierungsfunktionäre und zahlreich angereister Journalisten ließ er eine Gruppe von Bauern aus der Umgebung antreten und eine Sympathiekundgebung für seine Sache veranstalten. „Die Tür für Verhandlungen bleibt offen“, versicherte der Chef der Geiselnehmer den Reportern und ließ als Zeichen seines guten Willens weitere elf Geiseln frei. Zuletzt hielt er nurmehr die sandinistischen Abgeordneten Doris Tijerino und Carlos Gallo sowie drei Kommandanten und Offiziere der „Entwaffnungsbrigaden“ fest.

In Managua hatte mittlerweile auch das „Kommando der Souveränität und Würde“ seine Geiseln auf fünf reduziert, darunter Vizepräsident Virgilio Godoy und der ehemalige Parlamentspräsident Alfredo Cesar. Major Donald Mendoza, der Anführer des Kommandos, entschuldigte sich bei den Politikern, die am Sonntag von seinen Leuten in Unterhosen an die Fenster gestellt worden waren, als ein Angriff von Sondereinheiten befürchtet wurde. Auch den Journalisten, die seit dem Wochenende nicht aus dem Haus dürfen, erklärte er, sie könnten jederzeit gehen. Die Presseleute zogen es jedoch vor zu bleiben, da sie ihren Radiosendern live vom Orte des Geschehens berichten können. Den aus Gesundheitsgründen entlassenen Geiseln, die mit Handschlag und Umarmung verabschiedet wurden, gab Mendoza noch freundliche Worte mit auf den Weg und die Aufforderung, für den Frieden und die politische Verständigung zu arbeiten. Ein Wunsch, dem sich sogar der US- Geschäftsträger Ronald Goddard in einer Botschaft an Präsidentin Chamorro anschloß. Nach einem Treffen mit dem diplomatischen Corps fragte Vizeaußenminister José Pallais informell bei vier lateinamerikanischen Missionschefs und dem spanischen Botschafter an, ob diese Länder bereit wären, die Geiselnehmer aufzunehmen. Für sich selber lehnte Mendoza diese Lösung ab. Er will sich, wenn die Affäre einmal zu Ende ist, in die Berge zurückziehen und sich der „Revolutionären Arbeiter- und Bauernfront“ (FROC) anschließen, die vor einem Monat die Stadt Esteli eingenommen hatte. Eine Amnestie lehnt er ab.

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