: Die doppelte Geiselaffäre, die Nicaragua seit Ende letzter Woche in Atem hält, ist nur ein besonders dramatisches Beispiel dafür, wie in dem zentralamerikanischen Land generell politische Differenzen ausgetragen werden. Die Krise ist Folge mangelnder Dialogbereitschaft der politischen Akteure. Aus Managua Ralf Leonhard
Gegen Machismo pur hat Vernunft keine Chance
Wenn in Nicaragua eine Kneipendiskussion nicht mit Argumenten beendet werden kann, dann wird schnell die Machete gezückt. Meist handelt es sich um „Weibergeschichten“ oder andere Probleme, die an der Theke gar nicht beigelegt werden können. Einer der Streithähne bleibt meist schwerverletzt auf der Strecke, manchmal auch beide. So ähnlich geht es auch in der Politik zu: Machismo pur. Die doppelte Geiselaffäre, die das mittelamerikanische Land zur Zeit in Atem hält, ist nur ein besonders dramatisches Beispiel dafür, wie hier politische Differenzen ausgetragen werden.
Alejandro Serrano Caldera, der Rektor der Nationaluniversität in Managua, der sich für eine neue politische Kultur in seinem Land einsetzt, formuliert es etwas vornehmer: „Der Krise liegt die mangelnde Diskussionsbereitschaft der politischen Akteure zugrunde.“ Für ihn ist „das nicaraguanische Volk Geisel der Inkompetenz und Intoleranz“.
Das Problem hat natürlich Geschichte. Als die Sandinisten vor 30 Jahren den bewaffneten Kampf gegen die Somoza-Diktatur aufnahmen, gab es wirklich keine realistische Alternative zu einer Bewegung, die die gesellschaftliche Veränderung des herrschenden präkapitalistischen Systems anstrebte. Auch die durch die sandinistische Revolution 1979 zurückgedrängten traditionellen Kräfte, die sich für die Wahlen 1990 zur Oppositionsallianz UNO zusammenschlossen, wären wohl ewig politische Randerscheinungen geblieben, wenn sie nicht den bewaffneten Druck der rechtsgerichteten Contras auf ihrer Seite gehabt hätten. Selbst die ersten Recontras, die vor zwei Jahren die Waffen ausgruben, weil die Regierung ihr Versprechen einer zügigen Landverteilung nicht eingehalten hatte, hätten ohne massive militärische Drohungen wahrscheinlich wenig ausgerichtet. Die Regierung Chamorro verzichtete nur deswegen auf eine militärische Zerschlagung der Recontras, weil sie den Zyklus Gewalt-Gegengewalt brechen und jene neue politische Kultur einführen wollte, die Rektor Caldera reklamiert.
Erreicht hat sie damit das Gegenteil: Durch die Erfolge der ersten bewaffneten Gruppen fühlten sich immer mehr ehemalige Contras und einstige Soldaten, aber auch einfach unzufriedene Bauern ermutigt, ihren Forderungen mit der Waffe Nachdruck zu verleihen. Grund zur Unzufriedenheit, ja Verzweiflung, gibt es auf dem Land genug: die Angst vor Revancheakten des politischen Gegners, der Mangel an einer konsequenten Agrarpolitik, die hohen Kreditzinsen der Banken, die hohen Preise für Düngemittel und Insektizide sowie die zu niedrigen Preise für die Ernte und schließlich das Fehlen einer Beschäftigungsperspektive für entlassene Landarbeiter.
Meistens gelang es nach zähen Verhandlungen, die Anführer mit großzügigen Geschenken zum Einlenken zu bewegen. Den Truppen wurde jedes einzelne Gewehr, jede Granate abgekauft. Rebellion lohnte sich. Einträglicher als der Ackerbau war sie allemal und außerdem relativ gefahrlos. Denn wenn die Armee mit tausend Mann, Kampfhubschraubern und Artillerie ausrückt, dann kostet das weit mehr als eine Abfindung der Aufständischen. Die neue politische Kultur, die gibt es nur in Sonntagsreden: Alle politischen Akteure führen das Wort Rechtsstaat ganz vorne im Mund, meinen damit aber, daß die anderen nachgeben sollen. Im Übergangsprozeß vom revolutionären Modell der Sandinisten zur bürgerlichen Demokratie, wie sie von Violeta Chamorro angestrebt wird, können viele Probleme gar nicht mit gesetzlichen Mitteln gelöst werden, sondern bedürfen eines gesellschaftlichen Grundkonsenses, der Entscheidungen tragfähig macht. Die Bereitschaft, einen solchen Konsens zu suchen, schien am Höhepunkt der Geiselkrise, deren Ende sich gestern abzuzeichnen begann, gegeben zu sein. Auf Initiative des sandinistischen Ex-Präsidenten Daniel Ortega unterzeichneten Violeta Chamorro, die Comandantes des sandinistischen Nationaldirektoriums und jene UNO-Politiker, die sich nicht in der Gewalt von Geiselnehmern befanden, am frühen Samstag morgen ein Abkommen, in dem alle Beteiligten ihre Bereitschaft bekundeten, die anstehenden Probleme gemeinsam und im Dialog anzugehen.
An der Spitze jener unlösbaren Probleme steht die Eigentumsfrage. Denn es gibt Liegenschaften, die von drei Parteien reklamiert werden: vom einstigen Großgrundbesitzer, von einer Bauerngenossenschaft, die über die Agrarreform dazu gekommen ist, und vielleicht von einer Gruppe ehemaliger Contras, die Land brauchten und es kurzerhand besetzten. Noch immer ist nicht abschließend geklärt, wie viele der Eigentumsübertragungen, die im Schnellverfahren zwischen den Wahlen und der Regierungsübergabe durchgezogen wurden, in den Bereich krimineller Bereicherung fallen und wie viele nur einen längst bestehenden Zustand legalisierten.
Die Sandinisten versuchen sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie ihre „Piñata“ gegen die zahlreichen Korruptionsfälle in der Regierung Chamorro aufrechnen. Inzwischen verlangt aber die eigene Basis Aufschluß darüber, welche Güter und Betriebe an die Partei überschrieben wurden, und welche einzig der persönlichen Bereicherung eines ehemaligen Funktionärs dienen. Am lautesten gebärdet sich aber die Lobby der „Enteigneten“, die mit großer Entrüstung ihre Güter zurückverlangen, auch wenn die zum Zeitpunkt der Konfiszierung überschuldet waren oder sie seinerzeit eine Entschädigung akzeptiert hatten.
Ein anderer Dorn im Auge der konservativen Politiker ist die Armee, die einst als hochpolitisierte Streitmacht gegen eine Invasion der US-Armee aufgebaut wurde; sie hat den Regierungswechsel überlebt. Armeechef Humberto Ortega, dessen Rücktritt nun von den Recontra-Geiselnehmern verlangt wird, ist es zwar gelungen, bei der drastischen Truppenreduzierung vor allem die politischen Offiziere loszuwerden und ein kleines Heer zu schaffen, das auch gegen linke Rebellen losschlägt. Aber seinen Gegnern reicht diese Professionalisierung nicht. Sie wollen die äußere Sicherheit des Landes am liebsten der Schutzmacht USA anvertrauen. Um den Kopf von General Ortega geht es nur vordergründig. Im Forderungskatalog des „Comandante Schakal“, dem Anführer der rechtsgerichteten Recontras im Norden des Landes, steht die schrittweise zu vollziehende Auflösung der Armee, die einer zivilen Kommission aus Vertretern der Kirche, der Parteienkoalition UNO und des Unternehmerverbandes anvertraut werden soll. Um diese Themen, um eine Verfassungsreform und eine Plattform für die wirtschaftliche Wiederbelebung sollte es im geplanten Dialog gehen. Doch ob der zustandekommt, ist inzwischen fraglich. Denn Arnoldo Aleman, Managuas rechtsextremer Bürgermeister und einer der Wortführer in der Parteienkoalition UNO, hat das Abkommen vom Samstag bereits als „verräterisches Dokument“ abgelehnt. Es bleibt abzuwarten, ob nach der Krise die Stimme der Vernunft siegt, oder ob sich die Macho-Politiker à la Aleman durchsetzen.
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