: Wird sie seine Hose öffnen?
■ Videoarbeiten von Marlon Shy/Fetischpark im „Eiszeit“
Marlon Shy ist viel herumgekommen in der Welt. Durch Afrika, Südostasien, USA, Jugoslawien, Deutschland führten ihre Lebenswege. Die 36jährige gelernte Künstlerin arbeitete als Aufnahmeleiterin bei Peter Bogdanovich, als Reiseleiterin in Tunesien, als Malerin, Fotografin, Videofilmerin und Lagerarbeiterin – „hierbei Zusammenprall mit Carla Subito“. Über die Bilder, die man sich gegenseitig zeigte, verstand man sich schnell. Mit dem ausgebildeten Kirchenorganisten und „Klanginstallateur“ bildet Marlon Shy seit drei Jahren die Künstlergruppe „Fetischpark“. Das Essentielle – Lust und Gewalt oder „diese Vermischungen von Zwang und Hingabe“ – sind ihre Themen. Kein Wunder, denn „wir beide waren auf derselben Nonnenschule. Das muß man verarbeiten, weil es einen klein gemacht und gedemütigt hat in der Kindheit. Man verbringt sein ganzes Leben damit, diesen Konditionierungen etwas entgegenzusetzen.“
Was die beiden jedoch in ihren Videoarbeiten dem Katholizismus entgegensetzen, wiederholt ihn. Zwischen Reinheit und Verworfenem, Angst und Faszination, in Bildern vor allem versuchen „Fetischpark“, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Der immer ambivalenten Verfemung setzen sie dabei in dem etwa halbstündigen Video „Wie man Honig opfert“ die kontrollierte Ritualisierung der Lust entgegen. In Zeitlupe, begleitet von sehr bedeutsamen Klängen (Subito ist ein Freund von Klaus Schulze) wird eine Frau entkleidet, auf die hellblaue Klobrille gesetzt. Fötal zusammengekauert, und bewegungslos unterzieht sie sich in der Badewanne einer rituellen Waschung, wird von dem Mann wieder angezogen (schwarze Reizwäsche), „befriedigt“ ihn dann „oral“, wie man so sagt, wobei er mit seinen Händen ein bißchen nachhilft. Am Ende legen sich beide ins Bett, so als wäre ihnen eingefallen, daß doch auch noch etwas S/M dazugehöre: Er schlägt sie bewußtlos – zunächst –, dann ersticht sie ihn hinterrücks mit dem spitzen Stöckelschuh.
Besonders gewaltsam zwischen „Zwang und Hingabe“ ist das alles eigentlich nicht, und wer sich als Zuschauer weltmännisch geben möchte, wird gelangweilt einwenden, daß er doch spätestens seit Lothar Lambert schon ein paar hundert „blow jobs“ in tausend Variationen gesehen hätte. Er ignoriert dabei, daß es immer auch die eigene Welt ist, die sich entzaubert oder verzaubert, und daß die Medienrede von den angeblich allseits durchbrochenen Tabus in einer angeblich homogenen Gesellschaft zunächst nicht allzuviel mit dem einzelnen zu tun hat. Die Privatheit jedenfalls, die sich im Film scheu selbstbefreierisch und behutsam in die Öffentlichkeit stellt, erzeugt eine Intensität, die sich sowohl von herkömmlichen Pornos als auch von künstlerischen Erotikversuchen à la Peggy Ahwesh (die vor zwei Jahren Batailles „La Morte“ politisch korrekt totgefilmt hat) unterscheidet, mag die Spannung des Films auch auf den immergleichen Fragen der klassischen Pornodramaturgie beruhen: Wird sie seine Höse öffnen? Gibt's eine echte Erektion? Wird sie seinen Schwanz in den Mund nehmen? Wird er (wie in den meisten Industriepornos) kurz davor die Sache selbst in die Hand nehmen? Innen oder außen oder überhaupt nicht ejakulieren? Etc.
Stilisierter – sie orientiere sich am japanischen Butho-Theater – und symbolischer geht es in den beiden anderen Videos zu. In „Fleischveredelung“ streichen ungeschnitten, in suggestiver Langsamkeit, fremde Finger mal suchend und zärtlich, mal gewalttätig um den Mund einer Frau. Im Off liest eine Stimme geheimnisvoll flüsternd Passagen aus Lautréamonts erstem, romantisch sadistischem „Gesang des Maldoror“. Eine Rasierklinge schneidet dazu behutsam die Lippe. Lippenstift und Blut werden verrieben. Die Lippen öffnen sich und schockieren mit vier einsamen Goldzähnen, die wie abgestorbene Bäume in der verwüsteten Landschaft des Unterkiefers stehen. Die Szene sei übrigens echt wie alles, was sie mache, meint Marlon Shy. Damals in Indien seien ihr die Vorderzähne im Essen steckengeblieben. Bevor sie sich neue hat einsetzen lassen, sei das Video entstanden, daß durchaus noch härter hätte werden können: „Jetzt müßte man eigentlich als Krönung jemandem den Unterkiefer wegschneiden, aber darauf wollen wir mal verzichten. Das ist ja nicht der Sinn der Sache.“
Im neuesten „Fetischpark“- Film, den „Terrassen des Weihrauchs“, kreisen Hände, autonom und losgelöst wie kleine Tiere, im roten Rauch um ein drohendes Messer, eine Stimme berichtet bedeutungsschwer von der „Nichtigkeit allen Habens“, der „Ewigkeit allen Seins“ und vom „Tod in jeglicher Gestalt“. Langsam verrinnt die Zeit und man denkt an Peripheres, bis daß sich zwei zum Päckchen verschnürte Frauenkörper umhalsen. „Ich glaube an die Liebe“, sagt Marlon Shy, die ihren obszön-künstlerischen Bildband folgerichtig „die vergessene Kunst vor Liebe zu sterben“ (konkursbuch-Verlag) genannt hat.
Ob es ihr allerdings gelingt, diesem Traum auch im Video einen mehr als diffus-sehnsüchtigen Ausdruck zu geben, ist fraglich. Denn die Vielgereiste verzichtet leider in ihren Filmen auf jegliche Außenwelt. Die Filme beschränken sich auf einen geschlossenen, beschützten, vielleicht traumatisierten Innenraum. Da gibt es weder Namen noch Geschichten; nur die Haut als verletzliche Außenfläche. „Es ist im Kopf; es sind psychologische Zustände.“ Doch das Innen, daß sich in seinem Ausdruck auf starre Rituale beschränkt, wirkt diffus und ein wenig aufgeblasen, wenn es auf sprachliche Vermittlung verzichtet. Die Zitate von Lautréamont und Jakob Wassermann scheinen wie Verteidigungsmauern, die sich um das wehe Innen gruppieren.
Einen Hang zur Melancholie hätten sie immer schon gehabt, sagte Marlon Shy fast entschuldigend anläßlich der Pressevorführung ihrer Videoarbeiten. Ansonsten und außerhalb ihres künstlerischen Schaffens würden sie jedoch auch gerne mal lachen. Detlef Kuhlbrodt
Bis zum 1.10., 21.30 Uhr im „Eiszeit“, Zeughofstraße.
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