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Normenfloppen

■ Internationale Funkausstellung '93: Krise und keine Knüller

Die Unterhaltungselektronik- Industrie steckt – trotz Rekordumsätzen in den Jahren 1991 und '92 – weiter in der Krise, und ein Ende dieser Krise ist nicht abzusehen. Das macht die Internationale Funkausstellung (IFA) 1993 deutlich. Die bahnbrechenden Neuerungen in der U-Elektronik bleiben in diesem Jahr aus. Digitale Tonaufzeichnungsverfahren – ob DAT, DCC oder Mini-Disc – setzen sich vorläufig nicht durch. „Interaktive Medien“, CD-Video- Kombinationen wie etwa Philips' System CD-I oder auch Commodores DCTV stecken noch in den computergrafischen Kinderschuhen. Multimedia-Anwendungen verdienen diesen Namen noch nicht.

Und selbst bei den seit langem für die Funkausstellung 1995 avisierten Neuerungen des hochauflösenden Fernsehens HDTV und des Digitalradios DAB (Digital Audio Broadcasting) herrscht Ladehemmung: HDTV liegt im Koma, weil das analoge europäische System gegenüber digitalen Systemen schon jetzt veraltet ist; DAB startet wegen der Finanzklemme der ARD nun erst frühestens 1997.

In der goldenen Zeit der U-Elektronik konnte die Industrie einer stetig kaufkräftiger werdenden Masse ständig neue Systeme anbieten, die so nach und nach zum allgemeinen Lebensstandard wurden: Vom Radio über den Plattenspieler und den Schwarzweißfernseher ging es 1967 in das Zeitalter des Farbfernsehens über; die HiFi-Stereo-Anlage folgte, dann der Videorecorder, und in den achtziger Jahren kamen CD-Spieler, Camcorder und Satellitenschüssel hinzu. In schöner Regelmäßigkeit wechselte die Verantwortlichkeit für die jeweiligen technischen Normen zwischen Software-Industrie (etwa Schallplatte, Compact-Cassette) und öffentlichen Diensteanbietern (Rundfunkanstalten, Telekommunikationsbehörden, Netzbetreiber). Im letzten Fall mußte sich die Norm für die Innovation nicht am Markt behaupten, sie war vorgegeben durch die technischen Spezifikationen, auf die sich die – meist monopolartigen – Diensteanbieter mit der Industrie verständigt hatten (etwa PAL-TV-Norm, Videotext). Im anderen Fall, für die Hardware, die marktgängiger Software bedurfte, genügte eine geschickte Lizenzpolitik, wie sie beispielhaft Philips in den frühen sechziger Jahren mit der Einführung der Compact-Cassette vorexerziert hatte.

In jenen goldenen Jahren war die Welt auch noch in Ordnung: Die Märkte waren streng national gegliedert. Nordmende und Saba waren noch Namen, die in Deutschland etwas galten. Ihre heutige Muttergesellschaft Thomson-Brandt dagegen war außerhalb Frankreichs niemandem ein Begriff. Japanische Henkelware wurde als Billigschrott belächelt, und US-dominiert war allenfalls der Schallplattenmarkt. Spätestens der Kampf um das führende Videosystem, in dem das technisch beste – „Video 2000“ von Philips – von vornherein keine Chancen hatte und bei dem sogar Sony gegen Matsushitas VHS klein beigeben mußte, war der Auftakt zu einer neuen Art von Marktpolitik in der Branche. Statt einer Einigung auf gemeinsame technische Standards, triumphierte zunächst das Recht des Stärkeren.

Die Doktrin, kurzfristig Markterfolge zu erzielen, um auf diese Art und Weise Normen zu setzen, hat sich inzwischen im Denken der Ingenieure und Manager festgesetzt. Ob nun 8-mm-Cassette oder VHS-C als Standard für Camcorder, DAT, CDD oder Mini-Disc als digitale Aufnahmemedien im Audiobereich: Die Konkurrenten halten sich gegenseitig in Schach.

Jeder der internationalen Konzerne hat seine eigene Entwicklung in der Hinterhand, die sich nur minimal von der der Konkurrenz unterscheidet, aber vor allem inkompatibel ist. Alle wissen: Die bespielbare CD ist das universelle Medium der nächsten zwei Generationen, doch der Startvorteile bringende Kampf um das Verfahren, mit dem sie bespielt werden soll, tobt weiter.

Nur die ganz Großen – Philips, Sony und Matsushita – sind noch in der Lage, mit Testballons auf dem Konsumentenmarkt ihre Fähigkeiten auszuprobieren, Standards am Markt durchzudrücken. Doch die Zahl der Flops (HDTV, D2 MAC, Foto-CD, DAT) wächst. Die Konsumenten sind längst nicht mehr bereit, alles und jedes zu kaufen und noch vor Erreichen der technischen Höchstlebensdauer auf den Müll zu werfen, weil inzwischen wieder etwas „Neues“, „Besseres“ auf den Markt geworfen wurde. Eine gigantische Verschwendung von volkswirtschaftlichen Ressourcen findet da in den Entwicklungslabors der U-Elektronik- Konzerne und ihrer Zulieferindustrien statt.

Die Märkte spalten sich immer stärker auf

Das Beispiel der CD zeigt dagegen, wie die Einigung auf verbindliche gemeinsame technische Standards den Einstieg in die Massenproduktion ermöglicht. Nur dadurch war dieser vorläufig letzte weltweite Siegeszug einer technologischen Erneuerung in der U-Elektronik möglich.

Mit jedem neuen technischen System, das nicht durch Diensteanbieter normiert worden ist, spalten sich die Märkte immer stärker auf. Die eine sammelt Platten, der andere schneidet seine Videos selbst, die dritte experimentiert mit neuer Computersoftware, der vierte spielt ein Videospiel – ob von Nintendo oder Philips-CD-I –, die fünfte bereitet ihre Diasammlung für die Überspielung auf Photo-CD vor, und der sechste hängt als Couchpotato vor 48 Satelliten- Kanälen. Aber der Tag hat nur 24 Stunden, und die VerbraucherIn muß mit ihrem verfügbaren Einkommen wirtschaften.

Doch das kümmert die U-Elektroniker nicht die Bohne. Schon steht am Horizont die Wunderwelt der 500 digitalen Satellitenkanäle. Ingenieure faseln von Spartenprogrammen und Pay-TV. Doch die Segmentierung der Publika senkt tendenziell die erzielbaren Einnahmen aus den angebotenen Programmen. Die Refinanzierung der elektronischen Medienangebote ist schon jetzt kaum noch gesichert. So gräbt sich die Unterhaltungselektronik mit ihrem Drang zur Expansion selbst das Wasser ab. Jürgen Bischoff

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