: Friedenstag, aber nicht für Bosnien
■ Der Aufruf des DGB zum 1. September klammert Bosnien und Bremer Rüstungsproduktion aus
Am Mittwoch ist der 1. September. Alle Jahre wieder beginnt der Aufruf des DGB zum 1. September mit Sätzen wie: „Am 1. September überfiel die Nazi-Wehrmacht Polen...“ Auch dieses Jahr soll dieser Tag mit Veranstaltungen und einer „Antikriegsaktion“, einer Demonstration zum Bundeswehrhochhaus (13 Uhr ab Bahnhof) entsprechend begangen werden.
Worum geht es an diesem Tag? Nicht nur um die Vergangenheit, nicht nur ums Allgemeine, der 1. September ist immer Anlaß für konkrete aktuelle Stellungnahmen. Das Ende des kalten Krieges, das Grundgesetz und die Uno in Somalia oder die ungerechte Weltwirtschaftsordnung sind Themen des Aufrufes. Der DGB ist für die „gerechte Verteilung der Lebensressourcen“ in der Welt und: „Sicherheit darf nicht militärisch, sondern muß vielmehr politisch, ökonomisch, kulturell und demokratisch verstanden werden.“ Und: „Ein wahrhaftes weltweites Sicherheitssystem muß geschaffen werden, das nur zivile Konfliktlösungen zuläßt.“
Ein langer Flugblatt-Text voller schöner Wünsche und Allgemeinheiten. Satz für Satz muß dem verständigen Leser die Frage dringender werden: Gibt es einen Krieg in Europa, in Bosnien? Kann es sein, daß in unserem früheren Nah-Urlaubsgebiet nahe der Adria, also vor den Augen des zivilisierten Europa, eine muslimische Minderheit hingemetzelt wird? Am Ende des Textes
hierhin Mann & Frau im Zug
Ihnen steckt der Krieg in Bosnien noch in den Knochen: Flüchtlinge mit Ziel Bremen.F.: K.H.
kann kein Zweifel mehr bestehen: Es gibt diesen Krieg nicht, es kann ihn nicht geben. Wenn es ihn gäbe, wäre ein derartiges Flugblatt zum „Antikriegstag“ nicht möglich.
DGB, Kultursenatorin, Arbeiterkammer und Bremer Friedensforum haben einen kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden, der vor diesem realen Krieg in unserer Nachbarschaft schlicht beide Augen zudrückt.
Man muß sich die allgemein formulierten Sätze über den zivilen Frieden als den Bosniern, die sich hier nach Bremen geflüchtet haben, ins Gesicht geschrien denken — auf diese Weise kann man den ganzen Zynismus begreifen, der in diesem Aufruf steckt:
Liebe Bosnier, es geht darum, daß wir „im umfassenden Sinne Frieden schaffen“ müssen und dies „nicht mit militärischen Mitteln versuchen“ wollen. Liebe Bosnier, tut uns leid, „ohne sozialen und ökonomischen Ausgleich wird kein dauerhafter Friede möglich sein“. (Klassische Verwechslung der Sehnsucht nach einem Waffenstillstand, als sei das schon Frieden!!). Liebe Bosnier, „Sicherheit darf nicht militärisch, sondern muß vielmehr politisch, ökonomisch, kulturell und demokratisch verstanden werden.“ Ein „wahrhaft weltweites Sicherheitssystem“ soll nur „zivile Konfliktlösungen zulas
sen“, so stellen wir uns das vor. Ihr wollt eine Uno, vielleicht sogar „mit deutscher Beteiligung“ als „eine Art Weltpolizei im Interesse des Friedens“? Liebe Bosnier, „diese Zukunftsvision wirft kritische Fragen auf“, versteht ihr uns?
Einig waren sich also die Beteiligten an dieser „Antikriegsakton“ zum 1. September, das das Wort Bosnien und mögliche Sachverhalte dort vorsichtshalber nicht erwähnt werden sollen. Das ist die hohe Kunst des Minimalkonsens, in der die Friedensbewegung jahrelange Übung hat. (Auf dem Flugblatt ist, so offen kann man ja heute sein, ein Minderheitenvotum abgedruckt, aber zum Thema Bosnien war das nicht nötig oder verlangt.)
Nicht einig wurden die Aufrufer über das Thema Rüstungsexporte und Rüstungsproduktion. Während DGB, Arbeiterkammer und Kultursenatorin nur den Rüstungsexport in Entwicklungsländer verbieten wollen (bitte, liebe Bosnier, ihr gehört da irgendwie zu, selbstverständlich sollt ihr auch keine Waffen kriegen!!), geht das Bremer Friedensforum einen Schritt weiter. Über den Konsens „hinausgehend“ sei das Friedensforum für das „Verbot aller Rüstungsexporte“ und die „Einstellung aller Rüstungsproduktion“.
In der Veranstaltungsreihe wird dieser delikate Konflikt nicht etwa so gelöst, daß Gewerkschafter aus Bremer Rüstungsbetrieben über den Stand der Konversion berichten, um den politischen Meinungsstreit an diesem Tag zu ermöglichen. Das wäre zu konkret. „Rüstungskonversion in Europa“ ist der schöne Titel der entsprechenden Veranstaltung, der den Konflikt auf eine für den DGB akzeptabel hohen Ebene schweben läßt, und auch rein organisatorisch ist Vorsorge getoffen: Kein Gewerkschafter aus Bremer Rüstungsbetrieben sitzt auf dem Podium. Im Gegenteil: Das Podium ist so breit besetzt, acht Leute, Professoren, Senatoren, die meisten berühmt und von weit her, daß das Problem der Bremer Arbeiter, die von der Rüstungsproduktion leben und gerade — Reduzierung der Rüstungsproduktion sei dank — um ihre Arbeitsplätze fürchen, nicht zum konkreten Thema zu werden droht.
Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen