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Hilfe, die Hoffnung stiftet und Wut

Unterwegs in Osteuropa mit Johannes Rau: Während nordrhein-westfälische Hilfsprojekte in Rumänien einen Hauch von Zuversicht verbreiten, stößt die „neue Flüchtlingspolitik“ bei Roma in Makedonien auf Enttäuschung  ■ Von Walter Jakobs

Die zwei- bis dreijährigen Kinder im „Waisenheim Nr.1“ lassen sich von den Besuchern nicht stören. Sie wuseln in dem hellen Flur des gerade erst renovierten Gebäudes durch die Journalistenschar, ganz so, als gehörten neugierige, fremde Erwachsene zur täglichen Routine. Schreien, Kreischen, Weinen, Lachen, der übliche Geräuschpegel, den knapp zwei Dutzend Kleinkinder überall auf der Welt verbreiten. Lange währt diese Normalität im „Waisenheim Nr.1 von Timisoara (Temesvar)“, der Stadt, wo der Sturz des Ceaușescu-Regimes seinen blutigen Anfang nahm, indes noch nicht.

„In einer einzigen Nacht sind im Dezember 1989 hier 17 Kinder an Unterernährung gestorben“, erzählt Petra Krebs von dem Essener Verein „Hilfe für Rumänien“. Vom Staat und von den Eltern im Stich gelassene Wesen, Kinder ohne Hoffnung, abgemagert, mit Wunden vom langen Liegen, von völlig überforderten, unmotivierten Pflegekräften, die jeweils für 40 Kinder zuständig waren, mehr bewacht als betreut. Heute kommen auf eine Erzieherin 10 Kinder, in der Regel „Sozialwaisen“, deren Eltern, so berichtet die neue Heimleiterin Dr. Elisabeth Judaneant, wegen sozialer und psychischer Notlagen sich zur Versorgung der Kinder zumeist schon bei der Geburt nicht mehr imstande sahen.

Auf eine der schlimmsten dieser Unterkünfte für „Sozialwaisen“ stießen die Helfer von der Essener Caritas, vom rumänischen Hilfsverein und aus der Düsseldorfer Staatskanzlei im Frühjahr 1990 im südwestlich von Timisoara gelegenen Gavojdia. In notdürftig umgebauten Schweineställen, ohne Betten, ohne Heizung, ohne Strom hausten dort über 180 Kinder zwischen 2 und 18 Jahren. Inzwischen sind die Kinder in einem aus Landesmitteln und privaten Spenden finanzierten Neubau in Timisoara selbst untergebracht, ein „schönes, gemütliches Zuhause“, wie Petra Krebs es beschreibt. Eine neue Bleibe haben auch jene behinderten Kinder gefunden, die unter Ceaușescu als „Irecuperabili“ (unwiederbringlich) eingestuft worden waren. Die Bilder von diesen hinter rostigen Stahlgittern eingesperrten Kindern haben sich im Gedächtnis von Menschen wie Petra Krebs eingebrannt: „Als wir da durchgingen wirkten die in ihrem eigenen Kot liegenden Kinder zunächst wie fremde Wesen auf uns. Dann griffen sie nach unseren Gesichtern. Das war ein KZ-Syndrom. Ich habe Schreikrämpfe bekommen.“

Teilweise, so erinnert sich Holger Gerdes, in der Düsseldorfer Staatskanzlei der zuständige Referent für die Rumänienhilfe, war es so, „daß man die Heime schon von weitem riechen konnte“. Gerdes war nach den ersten Berichten über die Heime im Frühjahr 1990 vom Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, Minister Wolfgang Clement, beauftragt worden, Hilfsmöglichkeiten für die sich selbst überlassenen Kinder zu prüfen, und dabei auf den von Exilrumänen gegründeten Essener Verein „Hilfe für Rumänien“ gestoßen. Daraus entwickelte sich unter Einbeziehung der Essener Caritas in den letzten Jahren eine Partnerschaft, die eine Vielzahl von gelungenen Projekten vorweisen kann.

Tiefe Spuren hat dieses Engagement auch bei den beteiligten HelferInnen wie Petra Krebs selbst hinterlassen. Die Mutter eines fünfjährigen Sohnes, die früher in einem Steuerberatungskollektiv arbeitete und den Grünen in Essen angehörte, hat sich der Rumänienhilfe inzwischen ganz verschrieben. Den Linken in Deutschland hält sie vor, „die grausamen Realitäten in Osteuropa völlig ignoriert“ zu haben. Die linke Szene müsse „endlich vom hohen Roß herunterkommen und praktisch werden“. Von ihren alten politischen Freunden sieht sie sich jetzt als eine Art „Mutter Teresa aus dem Ruhrpott“ belächelt.

In Timisoara, der „Hauptstadt der Revolution“, hoffen viele Menschen darauf, daß das Engagement von Helferinnen wie Petra Krebs, die für die Rumänienhilfe auch die direkt hinter dem „Waisenheim Nr.1“ neugebaute Pflegeschule betreut, nicht nachläßt. Als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau in der letzten Woche die mit Landesmitteln geförderte Schule besuchte, da war diese Hoffnung überall spürbar. Etwa bei der 23jährigen Schülerin Maria Padureanu, die Rau auch im Namen ihrer 166 MitschülerInnen inständig bat, uns „auch künftig nicht zu vergessen“.

Eine halbe Autostunde südlich von Timisoara liegt die Gemeinde Ciacova. Ein ärmliches 3.000-Seelen-Nest. Kärgliche Häuser, mit einer von den unbefestigten Straßen herrührenden braunen Staubschicht belegt, prägen das Bild. Nur die gut gepflegte katholische Kirche sticht dem Fremden mit ihrem mächtigen Turm in die Augen. Hier predigt Georg Kobor, ein kräftiger, inzwischen vom Pfarrer zum Generalvikar von Timisoara aufgestiegener Mann. Der als „Don Camillo von Ciacova“ bekannte Pfarrer gehörte zu Zeiten der Ceaușescu-Dikatatur zu den politisch verfolgten Priestern und wurde mehrfach inhaftiert. Jetzt leitet er als Vorsitzender der Caritas Ciacova u.a. einen von der Caritas betriebenen Landmaschinenring. Hier können Kleinbauern, die im Zuge der Privatisierung Land zurückbekommen haben, aus NRW gelieferte Traktoren und Mähdrescher leihen. Als Gegenleistung muß „Don Camillo“ fünf Jahre lang 10 Prozent des Wertes der von der Landesregierung geschenkten Maschinen in Geld und Naturalien an Kinderheime zahlen. Auch das „Waisenheim Nr.1“ profitiert davon. Prall gefüllte Weizensilos auf dem Betriebsgelände künden vom Erfolg des Projektes. Rund 17 Millionen Mark hat die Düsseldorfer Landesregierung bisher im Nordwesten des Landes, im sogenannten Banat, zur Verfügung gestellt. Angesichts des tatsächlich notwendigen Kapitaltransfers kommt auch Rau das Gleichnis von dem „Tropfen auf den heißen Stein“ in den Sinn. Mehr als „eine Initiative gegen die Resignation“ könne ein Bundesland aber nicht leisten. Knapp eintausend ehrenamtliche Helfer und eine Vielzahl von Privatspenden fügten weitere „Tropfen“ hinzu. So haben für Tausende von elendig verwahrten Heimkindern diese Tropfen die Kraft eines belebenden Wasserfalls gewonnen.

Ein paar Flugstunden südlich von Timisoara, im makedonischen Skopje, kommt das Engagement der Düsseldorfer Landesregierung dagegen weit weniger gut an. Als sich Johannes Rau am vergangenen Donnerstag bei glühender Hitze der von seiner Regierung finanzierten Fertighaussiedlung im Roma-Ghetto Shutka am Stadtrand von Skopje nähert, wird er zunächst zwar von einer kleinen Roma-Gruppe mit freundlichem Beifall empfangen. Doch schon Sekunden später hagelt es Vorwürfe der eben noch applaudierenden Männer. Sie werfen Rau falsche Versprechungen vor. Alle Männer gehören ausnahmslos zu jenen Roma, die sich 1990 zur Teilnahme am „Reintegrationsprogramm“ der Düsseldorfer Landesregierung bereit erklärt hatten. Mit diesem Programm suchte die Landesregierung seinerzeit den sogenannten „Bettelmarsch-Roma“, denen Innenminister Herbert Schnoor zuvor die Gewährung des Bleiberechts in Aussicht gestellt hatte, die „freiwillige“ Rückkehr nach Makedonien schmackhaft zu machen. Trotz der Drohung, im Falle einer Ablehnung des Programms ohne jede Hilfe abgeschoben zu werden, gingen von den 1.400 Anspruchsberechtigten letztendlich aber nur 114 Familien mit insgesamt 570 Personen auf den Deal ein.

Die Bauarbeiten sind inzwischen abgeschlossen. Die letzte Familie zog im Juli dieses Jahres ein. Alle 114 Häuser, in der Regel 52 Quadratmeter groß, gehen laut Vertrag in den Besitz der makedonischen Regierung über. Nur das erste Jahr ist mietfrei. Für die ersten 6 Monate beziehen die Familien Überbrückungshilfen. Cenat Yasarov (37) ist mit seiner vierköpfigen Familie seit drei Monaten wieder in Shutka. Seine Wohnung macht einen äußerst gepflegten Eindruck. Die von NRW bezahlte Standardausstattung hat er durch eigene Möbel, Teppiche und Wandschmuck ergänzt. Drei Fernseher befinden sich im Haus. Eine Satellitenschüssel, die auf fast keinem der NRW- Häuser fehlt, holt täglich deutsche Fernsehprogramme ins Zimmer.

In Shutka leben die meisten der 40- bis 50.000 Roma in kleinen, ebenerdig gemauerten Häusern oder Wellblechhütten, in die bei starkem Regen der Lehmboden schwappt. Im Vergleich dazu geht es den über das NRW-Programm zurückgekehrten Roma sichtlich besser. Von einer Abschiebung in „Internierungslager“ oder einer „Deportation in den Tod“ – so hatten einige Roma-Unterstützer 1990 das am Ende wohl knapp 20 Millionen Mark umfassende Programm kritisiert – kann jedenfalls nicht die Rede sein. Der 37jährige Yasarov räumt sogar ein, daß sein Haus hier mehr Komfort biete als seine verlassene Wohung in Duisburg. „Das Problem“, so übersetzt sein 16jähriger Sohn Denis in fast akzentfreiem Deutsch, sei „der fehlende Arbeitsplatz“. Noch hilft die Überbrückungshilfe, die der Familienvater mit 1.200 Mark pro Monat angibt. Angesichts eines monatlichen Durchschnittslohns von 120 bis 150 Mark eine Summe, von der sich hier einige Zeit leben läßt.

In Duisburg war auf das von der Familie Yasarov bewohnte Mietshaus ein Brandanschlag verübt worden. Beim Sprung aus dem Fenster hatte sich der Vater eine schwere Fußverletzung zugezogen. Trotz alledem findet die Familie „Deutschland schön“, möchten alle vier am liebsten so schnell wie möglich zurück.

Ein paar Häuser weiter, bei der Familie von Seleidin Senjelov (29), klingt das ähnlich. Der Vater zweier Kinder, seit zwei Jahren zurück in Shutka, sitzt auf der selbst angelegten schmalen Terrasse vor seinem Haus und schimpft. „Man hat uns gesagt, die Häuser kriegt ihr geschenkt. Jetzt verlangen die Miete. Was ist das für ein Geschenk?“ Senjelov ist bei der vom nordrhein-westfälischen Wirtschaftsbüro initiierten Baufirma beschäftigt. 120 bis 130 Mark verdient er im Monat. Das reiche vorn und hinten nicht. In Deutschland habe er 1.100 bis 1.200 Mark Sozialhilfe bekommen. „Genau dieser Vergleich macht uns zu schaffen“, sagt Hans-Jürgen Möller, Leiter des Wirtschaftsbüros. „Ihr Maßstab ist nicht die Lage eines makedonischen Arbeiters oder die Situation der hier zumeist in elenden Verhältnissen lebenden Roma, sondern sie schauen auf den Sozialhilfeempfänger in Wuppertal.“

Inzwischen existieren laut Möller für knapp 130 Roma Arbeitsplätze. Darüber hinaus seien gut 80 Kredite für Existenzgründungen vergeben worden. Ein neu gegründetes Musikstudio und ein selbständiger Besenbinder seien schon recht erfolgreich. Die meisten der Arbeitsplätze hängen indes noch am NRW-Subventionstropf. Vor allem von der Großküche, in der 20 Frauen arbeiten, erwartet Möller aber schon bald schwarze Zahlen. Für Minister Wolfgang Clement, dem Vater des Programms, belegen nicht zuletzt diese Daten „den Erfolg“ des Projektes: „Sie zeigen, daß wir auch unter extrem schwierigen Bedingungen millimeterweise Fortschritte erzielt haben.“

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