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Echo der Seele

■ Musik aus Ton-Leuchtern, Glasröhren und Flammen: Andreas Oldörps Klanginstallation im Westwerk

Kunst ist nur ein schmaler Grat zwischen Technik und Sinnlichkeit, zwischen Religion und Wahn, und sie braucht die modeabhängige gesellschaftliche Kenntnisnahme. Andreas Oldörp kann über Aufmerksamkeit nicht klagen, auch wenn diese unterschiedlich ausfällt: Zur Zeit mit gleich drei Stipendien gesegnet, ist er des Interesses der Fachleute gewiß, Kunstverbraucher jedoch verlassen oft ratlos den Ausstellungsraum. Denn die nach wochenlangen, forschenden Vorbereitungen und handwerklichen Montagearbeiten erstellten Klanginstallationen sind nicht für den schnellen Konsum geeignet.

Gasflammen in genau gestimmten Glasröhren geben gleichschwebende, glockenhallgleiche Töne zu Gehör. Je nach Standort, persönlicher Befindlichkeit und Schulung der Ohren füllen sie die Räume mit meditativ sakraler Ruhe oder mit nicht enden wollendem Obertonreichtum kontinuierlich schwellender Bedrohung. Im Westwerk steht dem 34jährigen für seine Arbeit zwischen bildender Kunst und Musik kein so eindrucksvoller Raum zur Verfügung wie 1988, als er seine ersten Singenden Flammen in einem Bunker präsentierte.

Schon in seiner Studienzeit trat er mit Fluxus-Konzerten hervor, beschäftigte sich mit Orgelpfeifen als konstant betriebenen Klangquellen und stieß auf das Pyrophon des Elsässischen Physiker-Musikers Frédéric Kastner. Um 1870 genoß dessen Gas-Orgel kurzzeitig einen großen Ruf. Henry Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, schrieb 1873 : „Man kann durchaus behaupten, daß der Ton des Pyrophons der menschlichen Stimme und dem Klang der Äolsharfe gleicht; er ist zugleich süß, kräftig, geschmackvoll und leuchtend, rund, rein und voll, wie menschlicher Gesang, Echo der allerinnersten Schwingungen der Seele, etwas Mysteriöses und Undefinierbares“. Andreas Oldörp fuhr nach Paris, studierte dort die Schriften Kastners, experimentierte ein halbes Jahr mit dem Prinzip und erfand seine speziellen Klangkörper.

Fünf auf der vorderen Längswand des Westwerks verteilte und vier im hinteren Raum auf einem Sockel zu einem Ton-Leuchter zusammengefaßte Gasröhren sind durch ihre unterschiedliche Länge gestimmt. Die in der Gleichheit doch bewegt brennende Flamme bewirkt die spezielle musikalische Lebendigkeit. Im vorderen Raum ist der Zusammenklang der Quinte so eingestellt, daß das große B als tiefster Ton noch einmal eine Oktave tiefer gesetzt wird. Die Gewißheit, nicht auf esoterische Abwege zu kommen, gibt ihm sein fast zweijähriger China-Aufenthalt. Mit dem interkulturellen Blick ist nicht nur mancher „Yves Klein“ in einem buddistischen Tempel zu entdecken, er stärkt auch das Bewußsein um die Notwendigkeiten meditativer Arbeit. Hajo Schiff

Westwerk, Admiralitätsstr 74, tägl. 18-22 Uhr, nur bis 5. 9.; Abschlußkonzert: Sonntag ab 21.30 Uhr mit Max Wulf, Percussion und Poul Naes, Kontrabass.

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