: Ein Museum mit lebendigem Inventar
Ein Unternehmensberater möchte Eisenhüttenstadt an der Oder zu einem DDR-Museum machen, obwohl die Stadt längst eines ist / Die Einwohner wollen am liebsten ihr großes Stahlwerk zurück ■ Aus Eisenhüttenstadt Christian Arns
Eisenhüttenstadt soll ein Museum werden. Die ganze Stadt wäre dann zu besichtigen, 40 Jahre DDR könnte das 50.000-Einwohner-Dorf verkörpern. Die Idee, mit dem DDR-Image der Stadt zu wuchern, liegt nahe: Schließlich wurde Stalinstadt, wie „Hütte“ früher hieß, als erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden geplant und war fortan der ganze Stolz der DDR-Regierung. Die Ideale des Sozialismus flossen in die Architektur ein. Die graubraunen Wohnblocks aus den frühen 50er Jahren haben riesige Innenhöfe, in denen die Menschen gemeinsam leben und einander begegnen sollten. Heute sind die Rasenflächen ungepflegt, die Fassaden heruntergekommen, und Blechwände um Müllcontainer verschandeln den Anblick derart, daß an Geselligkeit nicht zu denken ist.
Trotzdem sind die relativ großzügig geschnittenen Wohnungen mit hohen Decken noch immer die beliebtesten in der Stadt, denn die Ansprüche wurden in den folgenden Baujahren heruntergeschraubt. Je neuer die Wohnviertel sind, desto weniger Platz ist zwischen den Häusern, desto höher und liebloser sind sie gebaut. Im neuesten Wohngebiet, das unmittelbar an das alte Städtchen Fürstenberg grenzt, reihen sich häßliche Wohnsilos aneinander, dazwischen ist gerade genug Platz, um Auto zu fahren und zu parken. So ließe sich gerade in Eisenhüttenstadt die Geschichte des in der DDR verwirklichten Sozialismus nachvollziehen, meint Timo Schön. Der Unternehmensberater aus Braunschweig ist Initiator des Gedankens, die „DDR-Geschichte der Stadt systematisch zu vermarkten“.
Die Idee ist ganz neu nicht: Seit Spätsommer letzten Jahres kämpft der Vorsitzende des Kultusausschusses, Klaus Rachow, für ein DDR-Museum. Einen außergewöhnlich fleißigen und erfolgreichen Sammler von Alltagsgegenständen hat der Sozialdemokrat mit dem Berliner Jürgen Hartwig bereits an der Hand; Hartwig würde seine beeindruckende Sammlung zur Verfügung stellen. Im ehemaligen „Aktivist“, wo zu DDR-Zeiten gut gekocht, noch besser getrunken und häufig getanzt wurde, soll das Museum nach Rachows Vorstellungen seinen Platz finden.
Doch die Renovierung des denkmalgeschützten „Aki“ ist teuer – zu teuer, meinen die meisten Stadtverordneten. Zudem werfen einige dem rührigen Gymnasiallehrer vor, er hänge mit seinem Vorschlag DDR-Nostalgie nach. CDU-Fraktionschef Lothar Richter befürchtet, Eisenhüttenstadt werde zu einem Wallfahrtsort für Alt-Stalinisten. „Völliger Unsinn“, wehrt sich Rachow und kontert, daß der Stadt irgendwann nur Nostalgie bleibe, wenn nicht bald tragfähige Konzepte zur Zukunft auf den Tisch gelegt würden, etwa zum Tourismus, den er in die Stadt lenken möchte. „Ohne einen Anziehungspunkt kommt keiner nach Eisenhüttenstadt“, befürchtet Rachow, da helfe auch die schönste Landschaft nicht.
Eisenhüttenstadt selbst ist nicht gerade attraktiv. Die Türme und riesigen Anlagen der Eko Stahl AG sind weithin zu sehen; aus jeder Richtung präsentiert sich die Stadt schon optisch als Industriestandort. Die unpersönlichen Schluchten in den Neubaugebieten wirken deprimierend. Das Stadtzentrum rund um das Friedrich- Wolf-Theater, ein Kitschbau, der klassizistisch aussehen soll, ist auch wegen wirtschaftlicher Probleme der Menschen noch weitgehend leblos. An genußvolles Flanieren entlang attraktiver Geschäftszeilen ist in absehbarer Zeit kaum zu denken, die breiten Bürgersteige wirken nicht großzügig, sondern verlassen und leer. Eisenhüttenstadts Tourismus-Befürworter setzen daher auf optische Schönheit in der Umgebung, auf interessante Programmpunkte in der Stadt.
Wegen Rachows unermüdlichen Einsatzes ist das auf den Aki begrenzte DDR-Museum immer wieder Thema in der Stadt, auch wenn die Stadtverordneten jetzt beschlossen, erst einmal kein Geld in dieses Projekt zu investieren. Jetzt schwebt Schön eine private Finanzierung seiner Vision eines kleinen Freiluftmuseums auf der Insel zwischen zwei Armen des Oder-Spree-Kanals vor, in dem er „Kuriositäten der DDR“ gezeigt sehen möchte, quasi als Museum im Museum. „DDR en miniature“ könne die Ausstellung auf rund 10.000 Quadratmetern heißen, die für ihn aber untrennbar mit seiner Grundidee verbunden ist.
Doch die wenigen, die Schön bereits ins Vertrauen gezogen hat, sind davon nicht zu begeistern. Die Vorstellung, eines Tages in einem Museum zu leben, gefällt überhaupt nicht. Auch wird der Gedanke nicht von allen ernst genommen, denn der gelernte Bankkaufmann Schön hat einen widersprüchlichen Ruf. Einserseits gilt er vielen als Aufschneider, der aus dem Westen kam, um kluge Sprüche abzulassen, andererseits gestaltete er schon früh für viele Gewerbetreibende das Briefpapier und Werbebroschüren, war er schon bald engagierter Mitarbeiter im Verband der örtlichen Geschäftsleute. Auch mit der Stadtverwaltung arbeitet er eng zusammen, aber über die Museumspläne hat er dort noch mit keinem gesprochen: „Ich lasse mir nicht die Butter vom Brot nehmen“, begründet er forsch.
Und doch kennen viele einzelne Konkretisierungen, zum Beispiel Straßen-Rück-Rückbenennungen. Die Lindenallee etwa, die vom Stahlwerk zum Rathaus führende Kopfsteinpflaster-Magistrale, hieße wieder Leninallee, wie sie das über Jahrzehnte hinweg tat. Die quer dazu verlaufende Bundesstraße von Frankfurt/Oder nach Guben hieße statt Beeskower Straße wieder Ernst-Thälmann- Straße, nachdem sie zunächst Eisenhüttenstädter Chaussee genannt worden war. Der lange Name ließ sich jedoch auf den Busschildern nicht unterbringen. Und vorbei wäre es mit dem Hinweis auf die erste deutsch-deutsche Städtepartnerschaft: Die Saarlouiser Straße wäre wieder die Straße der Komsomol.
Dem genau entgegen laufen die Pläne des Eisenhüttenstadter Bundestagsabgeordneten, des FDP- Politikers Jörg Ganschow. Stets auf Bruch mit der DDR-Vergangenheit bedacht, ruft er die Bürger der Stadt auf, sich Namen für ihre Stadtteile einfallen zu lassen. Bislang sind sie lediglich unpersönlich in sieben Wohnkomplexe eingeteilt und durchnumeriert. Damit müsse Schluß sein, meint Ganschow, der in regelmäßigen Abständen fordert, die ganze Stadt umzubenennen. Der Name schrecke Investoren ab, warnt der Liberale, der gleiches auch durch den ausschließlichen Kampf um den Erhalt der Eko Stahl AG, des ehemaligen Eisenhüttenkombinats, fürchtet.
Exponierter Gegenspieler und somit personifizierte Sorge Ganschows ist der Eko-Betriebsratsvorsitzende Günter Reski: Der wirft jedem Verrat am Werk, an der Stadt und an der gesamten Region vor, der sich nicht hinter den Nerven- und Wirtschaftskrieg um ein Flachstahlwerk stellt. Zudem schmückten Reski und die Seinen die Ortseingangsschilder mit der Warnung: „Sie betreten eine Stahl- Krisenregion.“ Daß derartiger Pessimismus den Aufschwung Ost, so es ihn denn gibt, nicht gerade an die deutsch-polnische Grenze lockt, stört außer den Liberalen kaum jemanden.
Schließlich haben sich die Eisenhüttenstädter schon immer über ihr Stahlwerk definiert, dessentwegen Stalinstadt als erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden 1951 gebaut wurde. Und die Bewohner waren zufrieden: Entweder kamen sie als „Erfahrungsträger“, was großzügig honoriert wurde, oder als junge Paare, die in der Schlafstätte des Kombinats mehr und moderneren Wohnraum zur Verfügung gestellt bekamen als anderswo in der DDR.
Noch heute läßt sich die damalige Attraktivität für ganz junge Eheleute erkennen: Knapp ein Drittel der Bevölkerung ist zwischen 25 und 45 Jahre alt, nur etwas über 7.000 der 50.000 Einwohner sind über 60. Über die Hälfte der gut 20.000 Wohnungen in Eisenhüttenstadt sind 3-Raum-Wohnungen für die klassische Kleinfamilie.
Die Wartezeiten für Neuwagen waren in Stalinstadt deutlich kürzer; diese Bevorzugung der Einwohner änderte sich bis 1989 nicht. Sie wurde nur Ende 1961 auf die Bewohner der 700jährigen Oderstadt Fürstenberg und des Dörfchens Schönfließ erweitert, als beide eingemeindet wurden und so Eisenhüttenstadt entstand. Den Menschen ging es überdurchschnittlich gut, „Hütte“ wurde ein sozialistisches Biotop deutschen Kleinbürgertums.
„Von Eisenhüttenstadt wäre die Revolution nicht ausgegangen“, ist sich Ottokar Wundersee, letzter DDR-Bürgermeister der Stadt, daher sicher. Und wenn er ähnliche Meinungen montags beim Fußballspiel der Prominentenmannschaft von sich gibt, erntet er keineswegs Widerspruch. Denn wer in Eisenhüttenstadt etwas bewegen will, ganz gleich ob als Kommunalpolitiker oder Unternehmer, der hat gegen eine ordentliche Portion Sturheit zu kämpfen und gegen die tiefverwurzelte Überzeugung, daß es so schlecht zu DDR-Zeiten nicht war. Nutznießer dieser Einstellung war bei der Kommunalwahl die PDS, die als stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung vertreten ist. Regierungsverantwortung brachte ihr das nicht, denn CDU als zweitstärkste Partei, SPD und FDP schlossen sich zu einer Koalition zusammen, deren einziges Bindeglied der gemeinsame Feind PDS ist.
„Hütte war nicht nur die erste sozialistische Stadt in Deutschland, sie ist auch die letzte“, mault Ganschow gerne bei der obligatorischen „dritten Halbzeit“ der Promi-Kicker, die Woche für Woche im Nachrichtenzentrum der Stadt, dem irischen Pub am Bauernmarkt hinter dem Friedrich-Wolf-Theater, zelebriert wird.
Nirgends ließe sich der Unterschied zwischen institutioneller und informeller Politik besser verdeutlichen als montags abends am ovalen Stehtisch in der Mitte der Gaststätte, wo Peggy und Otto mit viel Guinness, Köpi und irischem Whiskey ihre Gäste versorgen, die sich zu Einzelabsprachen immer mal wieder in entlegene Winkel der Gaststätte zurückziehen. Ideen werden teils vorsichtig, teils vollmundig vorgestellt, Chancen im kleinen Kreis ausgelotet und gemeinsam verfeinert.
Hauptthema ist und bleibt vorerst die Zukunft des Stahlwerks, das zum Leidwesen der Hüttenstädter keinen geschlossenen Produktionszyklus hat: es fehlt die Warmwalzstraße. Das auswärtige Walzen ist unrentabel, für einen Neubau fehlt aufgrund der weltweiten Stahlkrise der politische Wille in Bonn und Brüssel. Doch die ehrgeizigen Pläne der Geschäftsleitung, ein hochmodernes Mini-Flachstahlwerk aufzubauen, hat Chancen: Wegen geringerer Kapazität wäre es flexibler als die Ruhrpott-Giganten, die gewünschte Technik gibt es in Deutschland bisher noch nicht, und zugleich wäre der Erhalt der Eko ein Vorzeigesymbol für den Willen der Bundesregierung, die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer zu stärken. „Dünnbrammengießwalzanlage“ ist das kaum sprechbare Zauberwort, das den Menschen in Eisenhüttenstadt problemlos über die Lippen geht: Diese Innovation soll dem Werk die Konkurrenzfähigkeit, der Stadt den Reichtum bringen – so, wie es immer war.
Der Wunsch ist verständlich. Bis '89 waren die mit Abstand meisten Arbeitnehmer bei der Eko beschäftigt, zur Zeit sind es keine 3.000 mehr. Die Arbeitslosigkeit ist mit gerade zehn Prozent im Vergleich zum Gesamtbezirk Frankfurt/Oder noch relativ gering. Und doch hoffen die Eisenhüttenstädter auf spürbare Besserung durch die neue Technik.
Nun aber schrecken Privatisierungspläne die Bevölkerung auf; vor allem der italienische Riva- Konzern steht mit der Treuhand in Verhandlungen, die als erfolgversprechend gelten. Für die Betriebe, die sich durch Ausgliederung auf dem Gelände der Eko Stahl AG angesiedelt haben, Grund genug, schon einmal Position gegen den potentiellen Käufer zu beziehen. Mittlerweile hat Treuhandchefin Birgit Breuel Gespräche mit den Politikern der Region angeboten, um die Vorurteile zu mildern. Mit einer Sanierung durch Treuhandgeld und damit einer staatlichen Aufsicht wären die Bürger sehr zufrieden.
Völligen Neuerungen stehen sie kritisch gegenüber. So fordert Ingo Kitzmann als Geschäftsführer der Oder-Spree-Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung (OSW) seit über einem Jahr eine Recyclinganlage für Automobilkarossen. Eko könne in die Produktion eingebunden werden, die Hersteller hätten sich aufgrund vollmundiger Wiederverwertungs- Ankündigungen selbst unter Druck gesetzt, so seine Argumentation. Doch daß es für diese Idee nicht einmal ein gut funktionierendes Vorbild im Westen gibt, macht den Initiator bei der Bevölkerung eher verdächtig, die sich lieber über Kitzmanns Gehalt ausläßt, das vom Neuen Deutschland reißerisch veröffentlicht wurde. Daß die OSW eine GmbH und damit ein Privatunternehmen ist, stört die Schimpfenden herzlich wenig.
Sie schielen lieber und selbstverständlicher zur Obrigkeit, wenn es irgend etwas zu tun gibt. „Mensch, ihr müßt doch mal kapieren, daß ihr selber etwas tun müßt!“ verlangt der sozialdemokratische Oberbürgermeister Rainer Werner oftmals verzweifelt, wenn im Pub mal wieder von ihm erwartet wird, dieses zu tun oder jenes abzustellen.
Das Bewußtsein, daß „Staat schon macht“, ist noch tiefer in den bis vor vier Jahren privilegierten Herzen verwurzelt als die Freude über das Ende der Unterdrückung, deren 40jährige Dauer die Hüttenstädter oft und mit leidvollem Gesicht beklagen. So hat sich die Idee des Unternehmensberaters Schön längst von allein verwirklicht: Eisenhüttenstadt ist ein DDR-Museum.
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