: Autonomieplan – erster Schritt zur Rückgabe?
Ein Thema wird die heutigen Nahostfriedens- gespräche zwischen den palästinensischen und israelischen Delegationen beherrschen: die Teil- autonomielösung für Jericho und Gaza-Streifen.
Wenn heute abend in Washington die israelische und die palästinensische Verhandlungsdelegationen zum Auftakt der elften Runde der Nahostfriedensgespräche Platz nehmen, können sie auf die Vorarbeit zwischen der PLO und der israelischen Regierung aufbauen. In Geheimverhandlungen haben sich die beiden Seiten in den letzten Wochen offenbar auf eine Autonomie des Gaza-Streifens und der in der Westbank gelegenenen Stadt Jericho geeinigt. Westbank und Gaza-Streifen sowie der Ostteil Jerusalems wurden 1967 von der israelischen Armee besetzt.
Vor einer Woche konnte Israels Außenminister Shimon Peres in Norwegen in Verhandlungen mit dem PLO-Finanzbeauftragten el- Alla drei israelisch-palästinensische Dokumente zur Unterschrift vorbereiten. Ein allgemein gehaltenes Rahmenabkommen legt die Autonomie für die beiden Regionen als Zwischenlösung für fünf Jahre fest. Danach soll in einer neuen Verhandlungsserie eine endgültige Friedenslösung gefunden werden. Zu Beginn des Jahres 1994 soll der Gaza-Streifen den Palästinensern übergeben werden. Für Jericho liegt der Zeitpunkt noch nicht fest. Im nächsten Stadium soll die Autonomie auf weitere, bisher nicht definierte Teile der Westbank ausgedehnt werden.
Für Gaza und Jericho wird eine palästinensische Administration ernannt, in den übrigen Teilen soll die Verwaltung gewählt werden. Führenden PLO-Funktionären soll gestattet werden, im Gaza- Streifen oder in Jericho zu wohnen. Die israelischen Militärverbände sollen sich aus den Innenstädten auf dem Gebiet des Gaza- Streifens und des Westufers zurückziehen und innerhalb der besetzten Gebiete neue Stellungen einnehmen. In Gaza und Jericho und später in allen Teilen des Westufers soll eine eigene palästinensische Polizei die innere Ordnung gewährleisten, Israel dabei aber weiterhin souveräner Herrscher bleiben. Für die Dauer der Zwischenlösung bleibt die israelische Armee für die Sicherheit und die jüdischen Siedlungen verantwortlich. Alle zur Zeit existierenden Siedlungen bleiben bestehen.
Das zweite, angeblich unterschriftsreife Dokument beleuchtet verschiedene Fragen des Grundsatzabkommens. Unter anderem wurde dort verankert, daß Fragen, die Jerusalem betreffen, im Rahmen der Zwischenlösung ausgeklammert bleiben. Der palästinensischen Bevölkerung Jerusalems ist jedoch gestattet, sich an den Autonomie-Wahlen in der Westbank zu beteiligen. Die Wahlurnen dafür werden außerhalb der Stadt aufgestellt.
Das dritte Dokument betrifft die wirtschaftliche Hilfe für die besetzten Gebiete. Ein gemeinsamer Ausschuß soll sofort nach der Unterzeichnung gebildet werden, um die erforderlichen Gelder zu organisieren. Israel und die USA haben bereits mit Japan, der EG und internationalen Fonds Verhandlungen geführt. Eine Unterstützung soll jedoch ausdrücklich erst nach der Unterzeichnung aller Dokumente erfolgen.
Rechte sehen „Existenz Israels“ gefährdet
Zur Frage der formellen Anerkennung der PLO als Vertretung des palästinensischen Volkes erklärte der stellvertretende israelische Außenminister Jossi Beilin, eine De-facto-Anerkennung bestehe bereits. Die Bedingungen, unter denen Israel die PLO auch de jure anerkennen werde, seien noch auszuhandeln. Der israelische Rundfunk hatte am Sonntag gemeldet, die Regierung sei zu diesem Schritt bereit, wenn die PLO ihre Charta ändere und den Staat Israel anerkenne. Israels Ministerpräsident Rabin dämpfte dann gestern palästinensische Hoffnungen mit der Bemerkung: „Die Zeit zur Anerkennung der PLO ist noch nicht gekommen.“
Die rechten Oppositionsparteien in Israel haben eine Sondersitzung der Knesset einberufen, um den „Hochverrat der Regierung Rabin“ zu verurteilen. Likud- Führer Benjamin Netanjahu verlangte die sofortige Einstellung der Verhandlungen und Neuwahlen in Israel. „Wir sind Zeugen eines absurden Schauspiels, in dem die Rabin-Peres-Regierung die PLO mit großen Geldsummen vor dem Ruin rettet und ihr einen palästinensischen Staat auf einem silbernen Tablett präsentiert, womit die Existenz Israels gefährdet ist“, erklärte er. Auch die Nationalreligiöse Partei und die Tzomet-Parteien verlangen ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung und beschuldigen sie des „Volksverrats“. Die illegitim gewordene Regierung müsse nun abgewählt werden, fordern sie.
Auf das Haus des israelischen Innenministers wurde in der Nacht zum Montag eine Granate abgefeuert, die aber keinen Schaden anrichtete. Zu dem Anschlag bekannte sich die rechtsextreme jüdische Organisation „Dov“. Aus Protest gegen die neue Entwicklung hatten am Sonntag rund 60 israelische Siedler in der Westbank eine „wilde“ Siedlung gegründet. Das israelische Militär löste die Kolonie auf.
Eine Meinungsumfrage der Zeitung Yediot Ahronot zeigt, daß zu Beginn dieser Woche 53 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels die Autonomiepolitik der Regierung unterstützt, während sich 45 Prozent gegen die Abkommen mit der PLO wenden.
Auch vielen Palästinensern in den besetzten Gebieten paßt die Annäherung nicht; dort hat eine breite Front verschiedener palästinensischer Oppositionsgruppen aus Protest gegen die Abkommen für heute zu einem Generalstreik aufgerufen. Amos Wollin, Tel Aviv
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