„Gatt – und für die Wirtschaft wird alles gut“

■ Generaldirektor Peter Sutherland auf Werbetournee fürs Gatt in Deutschland / Industrielle sollen Druck auf die Regierung ausüben — gegen die Bauernlobby

Genf (taz) – Wie hält es die Bundesregierung mit dem Freihandel? Wird sie tatsächlich, wie sie immer bekundet hat, auf den Abschluß der Verhandlungen über ein liberalisiertes Welthandelsabkommen (Gatt) hinarbeiten? Um diese Fragen zu klären, will sich der neue Generaldirektor des Gatt, Peter Sutherland, mit Bundeskanzler Kohl, Außenminister Kinkel und Wirtschaftsminister Rexrodt in Bonn treffen. In einer Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Köln forderte Sutherland bereits gestern abend die „Unternehmen und die politischen Führer“ in Deutschland dazu auf, für einen „erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde zu kämpfen“.

Von diesem Abschluß sind die 116 Gatt-Mitgliedsstaaten allerdings noch weit entfernt, wie eine Zwischenbilanz zeigt, die Sutherland vor seiner Abreise gestern in Genf dem höchsten Verhandlungsausschuß des Gatt (TNC) vorlegte. Um Druck zu machen, setzte Sutherland das Datum April 1994 für die endgültige Gatt-Unterzeichnung. Jüngste Äußerungen Bonner Politiker über eine mögliche Neuverhandlung des „Blair-House-Abkommens“ haben in der Genfer Gatt-Zentrale zumindest für Irritationen über die deutsche Haltung gesorgt. Im Blair-House-Abkommen hatte sich die Europäische Gemeinschaft Ende Dezember 1992 gegenüber den USA verpflichtet, durch einen Abbau von Exportsubventionen die Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte aus der Zwölfergemeinschaft um jährlich 17 Millionen Tonnen Getreide zu verringern. Mit dieser Vereinbarung wurde der seit Jahren schwelende Streit zwischen Brüssel und Washington über Agrarsubventionen – ein wesentliches Hindernis für ein Gatt- Abkommen – erheblich entschärft.

Doch Frankreich, größter Agrarexporteur in der EG, stimmte der Vereinbarung mit Washington seinerzeit nicht zu und fordert inzwischen Änderungen. In der Genfer Gatt-Zentrale besteht die Sorge, daß die Bundesregierung zwecks Verbesserung des Verhältnisses zu Frankreich dieses Ansinnen unterstützen könnte.

„Sie halten den Schlüssel in Ihrer Hand zu neuen Investitionen, mehr Beschäftigung und Handel sowie zu weniger witschaftlichen und politische Spannungen und Unsicherheit.“ Mit diesen Worten forderte der Gatt-Generaldirektor die BDI-Vertreter auf, „enge protektionistische Interessen“ aufzugeben und den Weg frei zum machen für eine möglichst weitgehende Handelsliberalisierung.

Doch offensichtlich muß der Gatt-Generaldirektor diese Botschaft noch in zahlreichen Ländern verkaufen. Nach seiner gestern in Genf vorgelegten Bilanz des Verhandlungsstandes haben erst 54 der 116 Gatt-Mitglieder Angebote für die Öffnung ihrer heimischen Märkte auf den Verhandlungstisch gelegt. Wie weit sie bereit sind, ausländische Dienstleistungsunternehmen auf die Märkte zu lassen, haben bisher erst 73 Staaten verbindlich erklärt.

Sutherland will die Genfer Verhandlungen „unter allen Umständen“ bis zum 15. Dezember beenden. An diesem Datum läuft das Verhandlungsmandat der Clinton- Administration aus, mit dessen Verlängerung durch den US-Kongreß nicht zu rechnen ist. In der Zeit bis zum von Sutherland anvisierten Ministertreffen im April sollen dann nur die Vertragstexte geschrieben werden. Andreas Zumach