Opernball mit Liebenden

■ Konzertante Aufführung von Gounods „Romeo et Juliet“

Die momentan wegen Umbau heimatlose Oper eröffnete ihre Saison mit einer konzertanten Aufführung von Gounods Romeo et Juliette. Romeo und Julia treffen sich bei einem Fest und verlieben sich sofort - das ist Liebe auf den ersten Blick, und selbst die generationenalte Feindschaft zwischen den Capulets und den Montagues ist vergessen. Shakespeares Liebesdrama ist nicht nur romantisch, es ist vor allem auch grausam, direkt, unverblümt, leidenschaftlich.

Eine Geschichte, so alt wie die Welt, die immer wieder die Komponisten gereizt hat. Schon Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es mehr als ein Dutzend Opernadaptionen. 1867 brachte dann auch der Erfolgskomponist Charles Gounod in Paris seine Version von der Geschichte der sich befehdenden Familien auf die Opernbühne. Der knapp 50jährige war einer der Lieblingskomponisten des pompösen Second Empire und traf genau den musikalischen Nerv der Zeit. Prompt begann für seine Verliebten ein beispielloser Siegeszug über die Opernbühnen Europas, von London bis Wien, von Mailand bis Petersburg. Fraglich ist nur, ob mit dieser Musik die Hamburger Opernsaison 93/94 eröffnet werden muß.

Oder vielleicht doch nicht? Schon die Ouvertüre macht deutlich, wie sehr es sich hier um Zeitgeistmusik des ausgehenden Neureichen-Kaiserreichs handelt, um schmeichelnde Promenadenkonzert-Melodien, in denen vom - wie Gounod es nannte - „Kampf von Liebe und Leichtsinn“ nicht viel mehr übrig bleibt, als anklingende Walzerseligkeit und germanisch-wagnerisches Gewoge, das momentweise in hellgegeigte Operettenstimmung umschlägt. Puderzucker statt Leidenschaft. Oder eben die Leidenschaft einer durch und durch reglementierten, kleinbürgerlich-spießigen Zeit.

Konzertante Aufführungen sind die Rache des Orchesters, vor dem die Sänger, auf der überfüllten, viel zu kleinen Bühne der Musikhalle manchmal wie wehrlos wirken. Zum Glück hatte Gounod ein Faible für die Streicher, so daß auch die etwas schwachbrüstigeren Nebenrollen zu hören sind. Deutlich wird in jedem Fall, daß die Einrichtung eines solchen Opernstoffes als reines Hörspiel immerhin den Vorteil hat, Orchester, Chor und Solisten im hellen, krude von oben fallenden Licht der Musikhallenbühne viel deutlicher und gleichberechtigter bei der Arbeit zu zeigen, als während einer szenischen Aufführung.

Und es gab einiges zu sehen: Die grandiose Ruth Ann Swenson als schöne Julia mit weichem Timbre und angenehmer Bühnenpräsenz; Francisco Araiza als etwas hölzerner Romeo, der allerdings mit seinen Aufgaben wächst und immer besser wird; Ning Liang trotz Hosenrolle als Stephano im hellblauen Ballkleid; Albert Schagidullin als südländisch-feuriger Mercutio und Ulf Schirmer als musikalischer Leiter, der sich trotz seiner Strenge manchmal einen Hopser in die Luft erlaubt vor dem fein hanseatisch klingenden Philharmonischen Staatsorchester.

Sie alle haben den Abend trotz der mehr als schwierigen Voraussetzungen (beim Abgang nach links müssen die Solisten zwischen den Violinen und der Bühneneinfassung hindurchdrängeln) gerettet. Bleibt nur die Frage, warum - trotz fehlenden Hauses - die Opernsaison unbedingt noch im August während des Hamburger Musikfestes mit einer konzertanten Aufführung eröffnet werden mußte - anstatt in einem Monat, im aufgebügelten Opernhaus?!

Thomas Plaichinger