: UNO: Der Hunger in Somalia ist vorbei
Welternährungsprogramm beendet die Hungerhilfe in Somalia / Nun bleibt nur noch die politisch-militärische Komponente der UNO-Mission / Die Widersprüche wachsen ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Ab sofort herrscht in Somalia kein Hunger mehr. Die Hungerhilfe für Somalia sei endgültig beendet worden, erklärte am Dienstag in Nairobi die Sprecherin des UNO-Welternährungsprogramms WFP, Brenda Barton. Von Mogadischu abgesehen, seien die Sicherheitsbedingungen so gut, daß die Landbevölkerung ihre Nahrungsmittel wieder selber herstellen könne; nur einige sozial schwache Gruppen wie Waisenkinder seien noch auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Der größte Teil der WFP-Lastwagenflotte sei aus Somalia abgezogen worden und würde nun nach Ruanda verlegt.
Somalia kein humanitäres Krisengebiet mehr – es müßte eigentlich eine Erfolgsmeldung sein. Doch Feierstimmung herrscht in UNO-Kreisen nicht. Der seit Juni herrschende Kleinkrieg im Süden Mogadischus, der als „Jagd auf General Aidid“ firmiert, hat vielmehr das Vertrauen in den Sinn der UNO-Mission in Somalia (UNOSOM II) untergraben. Kein Geringerer als Sam Nunn, der respektierte Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des US-Senats, sagte am Dienstag, die Frage dränge sich auf, was die US-Soldaten in Somalia eigentlich machten. Die ursprünglich humanitäre Mission habe sich zu einer Aidid-Verfolgungsaktion entwickelt. Die Schlußfolgerung brauchte er nicht auszusprechen, stand sie doch gleichzeitig in einem Leitartikel der New York Times: „Amerikaner haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die Clinton-Administration um eine Erklärung zu bitten, welches zwingende nationale Ziel eine derartige Gefährdung der Leben amerikanischer Soldaten rechtfertigt.“
Der Leitartikel schloß mit der Überlegung, die USA sollte sich Ende Oktober aus der UNO-Mission in Somalia (UNOSOM II) zurückziehen, wenn das Mandat der Mission ohnehin ausläuft. Aber was ist dieses Mandat? Die UNOSOM II zugrundeliegende UNO-Sicherheitsratsresolution vom 26. März beauftragt eine bis zu 28.000 Blauhelme umfassende UNO-Friedenstruppe mit der Sicherung des Waffenstillstands, der Entwaffnung der Milizen, der Etablierung einer somalischen Polizei und Wiederaufbaumaßnahmen wie Minenräumung und Flüchtlingsrückführung, alles im Hinblick auf die Schaffung einer neuen Regierungsstruktur. Die Sicherung humanitärer Hilfe wird als erledigt vorausgesetzt; sie war Aufgabe der US-geführten Streitmacht, die im Dezember 1992 in Somalia landete. UNOSOM II war somit von Anfang an keine rein humanitäre Mission. Daß US- Politiker daraus jetzt ein Argument für den Rückzug ableiten, zeigt, wie ihr Interesse an weitergehenden Zielen gesunken ist.
US-Verteidigungsminister Lee Aspin erläuterte vorige Woche, wann aus US-Sicht die Somalia- Mission erfüllt ist: Wenn Südmogadischu gesichert ist, wenn die schweren Waffen der Milizen eingezogen sind und wenn eine verläßliche somalische Polizei existiert. Von einem UNO-Gewaltmonopol, das noch im Dezember als nötig angesehen wurde, ist keine Rede mehr. Selbst die Festnahme Aidids, die derzeit öffentlich als vorrangiges UNO-Ziel wahrgenommen wird, ist kein notwendiger Bestandteil der ersten Bedingung. In den letzten Wochen gab es sogar diskrete Kontakte zwischen Aidids „Somali National Alliance“ (SNA) und UNOSOM- Verantwortlichen, die eine erstaunliche Wendung nahmen: Die UNO bot Direktgespräche an, Aidid lehnte sie ab und bat um Ex- US-Präsident Jimmy Carter als Vermittler.
Daß die UNO auf Entspannung hofft, legen auch die militärischen Entwicklungen seit dem 8. August nahe, als vier US-Soldaten in Mogadischu bei einem Aidid zugeschriebenem Attentat ums Leben kamen. Clinton hatte eine „angemessene Reaktion“ angekündigt; es kam kein Vergeltungsschlag, sondern die Verkündung einer „neuen Militärtaktik“, die nicht mehr auf Luftangriffe sondern auf einzelne Hausdurchsuchungen setze – eigentlich eine Deeskalationsmaßnahme. Und war die Blamage der 400 neuen US-Elitesoldaten, die am Montag bei ihrer ersten Aktion ein UNO-Gebäude stürmten und acht UNO-Mitarbeiter festnahmen, wirklich nur ein Versehen? Kein UNO-Verantwortlicher wollte bestätigen, die Aktion habe wirklich Aidid gegolten; UNO-Militärsprecher David Stockwell dementierte sogar ausdrücklich Vermutungen somalischer Beobachter, das wirkliche Ziel sei das Nachbarhaus gewesen, das einem Freund Aidids gehöre, und die Soldaten seien einfach im falschen Haus gelandet.
Es drängt sich die Vermutung auf, die UNO wolle Aidid mit gezieltem Danebengreifen an den Verhandlungstisch locken. Dafür sprechen auch neueste Überlegungen im US-Außenministerium, bald eine Neuauflage der Somalia- Versöhnungskonferenz vom März zu organisieren, um den politischen Diskussionsprozeß wieder in Gang zu setzen.
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