: Späth: „Uns geht's zu gut“
■ Festrede des „Cleverle“ aus Jena über die notwendige Modernisierung
Der Rathaussaal war gestern vormittag voll bis auf den letzten Platz, als der frühere Baden-Württembergische Ministerpräsident und derzeitige Geschäfsführer von Jenoptik, Lothar Späth, seine Festrede zum Verbandstag der Wohnungswirtschaft hielt. Und während sonst Reden im Rathaus oft öde offiziös sind, zeigte der begeisterte Beifall für „Cleverle“ Späth, daß sein rhetorisches Talent seine Botschaft auch an diejenigen heranzutragen geeignet ist, die eigentlich anderer Ansicht sind.
Späth predigt mit Leidenschaft einen modernen Unternehmer-Geist: Daß die „Westler“ so sehr über den Osten jammern, ist für Späth nur Beweis dafür, daß die Westler saturiert und träge sind und die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. „Unser Problem ist, daß es uns zu gut geht“, rief Späth in den Rathaussaal, Pioniermentalität sei gefragt, nicht das Schielen nach Besitzstandswahrung.
Für Späth sind die vielen Verordnungen und Behördenauflagen eine Ursache der Krise: „Das Ausmaß behördlicher Fremdbestimmung ist zum Ärgernis geworden.“ Anstatt Wohnungen zu bauen, würde den ehemaligen DDR-Bürgern der ganze Reichtum westlichen Vorschriftenwesens aufgehalst. Hätten die Bundesbürger 1945 so diese Aufbauleistung vollbringen können? 1990 seien beim Einigungsvertrag „Fehler“ gemacht worden, die jetzt korrigiert werden müßten.
Pioniermentalität fehle den Westdeutschen auch in der Konkurrenz zu den fernöstlichen Partnern. „Wenn in Deutschland ein begabter Wissenschaftler von der Uni zur Bank geht und sagt, ich habe eine gute Idee und brauche zwei Millionen, um sie vermarktbar zu machen, dann fragt die Bank nicht: Welche Idee?, sondern: Hat Ihr Onkel ein Eigenheim, das er zur Sicherheit verpfänden kann“, witzelte Späth. Ohne großzügige Investition in High Tech und ohne Risikokapital gehe es aber nicht. Teure Maschinen müßten 7 Tage lang 24 Stunden laufen: „Der Sonntagsschutz gilt für Computer und Roboter, die wollen aber nicht zur Kirche“. Statt der Modernisierung werde aber die alte Industrie gefördert: „Wenn die Leichen groß genug sind, geben wir viel Geld aus, damit sie vor dem Friedhof hin- und hergetragen werden können.“ An welche Industrien er dachte, hat Späth im Bremer Rathaus zu diesem Zeitpunkt vorsichtshalber nicht ausgesprochen. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen