: Vorschlag
■ „Tilt“ in der Tanzfabrik
„Tilt“ ist ein Schreckenswort für jeden Liebhaber von Flipperautomaten. „Tilt“, das heißt, nicht nur mit zwei Fingern, sondern unter vollem Einsatz des ganzen Körpers gespielt und den Apparat einen Tick zu sehr nach links oder rechts oder nach oben gehievt zu haben. „Tilt“ ist der Moment, in dem nichts mehr geht. „Tilt“ heißt auch die neueste Produktion der Tanzfabrik und meint hier: das Leben danach. Drei schräge Figuren erwachen an einem noch schrägeren Tisch zu skurrilem Eigenleben, wandern (an Heizungsrohren) die Wände hoch und versuchen sich in Geschichten, die dann lieber doch nicht erzählt werden. Annette Klar, Gayle Tufts und Norbert Kliesch sind die drei Protagonisten, die in poppig schrillen Bildern mit den Stolpersteinen des Lebens kämpfen. Da werden die 121 Möglichkeiten, einen Selbstmord durchzuführen, gezeigt, und dem in sich völlig schiefen Tisch versucht man, mit verschiedensten Massagetechniken zu einem besseren Dasein zu verhelfen.
Ein Tanzcomical“ heißt „Tilt“ im Untertitel, und Comic-Versatzstücke werden mit einer inbrünstigen Lust an der Dämlichkeit zu einem bunten Gemisch verarbeitet. Dämlich sein ist bekanntlich eine Kunst, die vor allem eines erfordert: das richtige Timing – und daran mangelt es manchmal. Großartige Momente, wie die innerhalb einer Minute vorgeführte Liebestragödie dreier Spülbürsten wechseln mit langgezogenen und etwas unpointierten Bewegungssequenzen. Die Phantasie, die Gegenstände und Figuren tatsächlich ein Eigenleben einhaucht, blitzt auf und verpufft aber auch immer wieder.
Was die großen Opernhäuser zu weiten Teilen verweigern, ist an den kleinen freien Theatern mit ihrem wenigen Geld möglich: Den TänzerInnen wird die Möglichkeit gegeben, selber choreographisch zu arbeiten und ihre Ideen und Ansätze auch tatsächlich auf die Bühne zu bringen. In der Tanzfabrik geschieht das im Rahmen des „Jungen Choreographischen Forums“; bei Dance Berlin wird der Choreograph Joseph Tmim auf eine der beiden jährlich vom Senat geförderten Produktionen zugunsten der TänzerInnen verzichten, die mit seiner Unterstützung eigene choreographische Ansätze ausarbeiten werden. „Tilt“ ist eine Choreographie der Tanzfabriktänzerin Annette Klar. Michaela Schlagenwerth
Bis 5.9. um 20.30 Uhr in der Tanzfabrik, Möckernstraße 68.
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