Ein Jahr „Drecksarbeit“ ohne irgendein Ergebnis

■ Die Genfer Bosnien-Konferenz währte genau ein Jahr / Ein Rückblick vom fehlenden Durchsetzungswillen des Anfangs zur Prinzipienlosigkeit am Schluß

Genf (taz) – Schon als die „Internationale Konferenz über das frühere Jugoslawien“, in deren Rahmen die vorgestern wohl endgültig abgebrochenen Bosnien- Verhandlungen stattfanden, heute vor einem Jahr in Genf mit der konstituierenden Sitzung ihres Lenkungsausschusses ihre Arbeit aufnahm, gab es die ersten Klagen. Etabliert von der Londoner Jugoslawien-Konferenz am 26. August 1992, sollte der Ausschuß eigentlich die politische Federführung der Genfer Verhandlungen übernehmen und über die Wahrung der von der Londoner Konferenz verabschiedeten „13 Prinzipien“ wachen.

Zu diesen Prinzipien – von denen zuletzt bei den Verhandlungen keine Rede mehr war – gehörten die Bewahrung der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas und der anderen exjugoslawischen Teilrepubliken sowie die vollständige Rückgängigmachung „ethnischer Säuberungen“ und gewaltsamer Gebietsaneignungen.

Diesem Auftrag entsprechend wurden in den Ausschuß berufen: die EG, als „Arbeitgeber“ von Vermittler David Owen sowie von Cyrus Vance (seit dessen Rücktritt im Mai 1993 Thorvald Stoltenberg); der UNO-Sicherheitsrat, vertreten durch seine fünf ständigen Mitglieder; ferner die direkten Nachbarländer Ex-Jugoslawiens sowie der Sudan als Vertreter der 51 islamischen Staaten.

Doch schon gleich nach der konstituierenden Sitzung des Leitungsausschusses beschwerten sich die Vertreter Rußlands und Chinas sowie Frankreichs darüber, daß Owen und Vance das Gremium offensichtlich nur zur Dekoration benutzen, über wichtige Dinge nicht informierten und alle wesentlichen Entscheidungen alleine träfen.

Ein Leitungsausschuß, der nur als Dekoration dient

Mehr als eine dekorative Rolle hat der Ausschuß, der in den letzten zwölf Monaten intensivster Verhandlungen ganze dreimal zusammengetreten ist, denn auch nie gespielt. Seine politische Verantwortung hat er nie wahrgenommen. Die Klagen über die selbstherrliche Art vor allem von Vermittler Owen sind inzwischen Legion, auch seitens zahlreicher EG-Staaten. Wenn Diplomaten eines im Ausschuß vertretenen Landes wissen wollten, was bei den Bosnien- Verhandlungen wirklich ablief, wandten sie sich an Journalisten.

Die eigentlichen Informationsstränge liefen auf seiten von Owen fast ausschließlich über die britische Botschaft in Genf ins Londoner Außenministerium, auf seiten von Vance beziehungsweise Stoltenberg direkt in den UNO-Sicherheitsrat nach New York. In den ersten sechs Monaten der Konferenz, bis etwa Mitte Februar, vermittelten die beiden Unterhändler dabei durchweg ein viel zu optimistisches Bild über den Stand am Verhandlungstisch – vor allem über die Kompromißbereitschaft der serbischen Seite.

Damit trugen sie nicht unwesentlich bei zu der „Zurückhaltung“ der westlichen Staaten gegenüber stärkerem Druck auf die Verhandlungspartner, die Owen am Mittwoch abend, nach dem Scheitern der Konferenz, als „mangelnde Unterstüzung“ für ihn und seinen UNO-Kollegen beklagte. In bestimmten Phasen, als einige westliche Staaten durchaus bereit waren, sich stärker zu engagieren, bremsten die beiden Vermittler. So lag etwa der ganze Sinn der von ihnen einberufenen Sitzung des Lenkungsausschusses auf Außenministerebene am 16. Dezember letzten Jahres darin, dringend vor einer militärischen Intervention zu warnen, zu der damals insbesonders in Washington eine größere Bereitschaft bestand als je zuvor oder seitdem.

Zufriedener Westen ließ Owen gewähren

Owens Vorwurf der mangelnden Unterstützung trifft am meisten für die Zeit von Ende Januar bis April dieses Jahres zu. Eine Einigung der drei bosnischen Kriegsparteien auf den Vance/Owen-Plan – der eine „Konföderalisierung“ Bosnien- Herzegowinas in zehn autonome Provinzen vorsah und dem jetzt auf dem Tisch liegenden Dreiteilungsmodell unter allen Gesichtspunkten vorzuziehen wäre – scheiterte damals wahrscheinlich an der schwankenden und widersprüchlichen Haltung der US-amerikanischen Clinton-Administration.

Andererseits erfolgte die Aufgabe des Vance/Owen-Plans Anfang Juni durch EG-Vermittler Owen im Alleingang. Owen hielt es gar nicht für notwendig, sich hierüber zunächst mit seinen Auftraggebern, den zwölf EG-Außenministern, zu beraten. Daß diese ihn wiederum unwidersprochen gewähren ließen, zeigt, daß man in allen westeuropäischen Hauptstädten – unbeschadet unterschiedlicher Sichtweisen zu einzelnen Aspekten des Konflikts auf dem Balkan – ganz froh war, daß Owen den Versuch unternahm, ein in jeder Hinsicht unbefriedigendes und für die bosnischen Muslime unfaires Abkommen durchzusetzen. Daß der über die Maßen ehrgeizige und arrogante Mann für diese einmal von ihm so bezeichnete „Drecksarbeit“ die meisten Prügel erhielt und nun an dieser Aufgabe gescheitert ist, macht ihn fast schon wieder zur tragischen Figur. Andreas Zumach