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Moooooment ...!

■ Morgens um fünf ist das Radio noch in Ordnung oder: Über Lutz Bertram

„Morgen, Damen und Herren, vorsichtig die Deckel aufgestellt, was sehen Sie, Sie sehen einen Tag, Modell Donnerstag in recht verregneter Ausführung. Es begrüßt Sie, zum ultimativen Morgenmagazin, Frühstücksdirektor Lutz Bertram: Huhu!“ Solchermaßen aus dem Bette gekräht, ist man nolens volens der aufgeweckte Zeitgenosse, den Bertram, die „knotige Nervensäge“, für seine Art Radio braucht.

Ohne viel Federlesens, aber mit höchst präziser Vorbereitung und Understatement steigt er in die Interviews ein, die das Räderwerk seiner Sendung bilden. Aktionskünstler Ben Wargin, Sparkünstler Theo Waigel, einen Nachtwächter und einen Marktschreier, Regine Hildebrandt oder eine Radfahrerin lassen sich von ihm in Gespräche verwickeln.

Dem schönsten Amtsgerassel kann er mit einem „Mooooment“ in die Parade fahren. Hinter abstrakten Sparplänen kommen dann zum Beispiel, ganz ohne jede Larmoyanz, die Konsequenzen für den Osten zum Vorschein. Sozialdemokratische Muskelspiele werden gedanklich nach Somalia plaziert, oder ein Nachtwächter findet sich zu seiner eigenen Überraschung plötzlich in der Situation, über die schauerromantischen Vorstellungen zu räsonieren, die mit diesem Amte verbunden sind.

Bertram kommt vom Jugendradio und hat die Höllenfahrt von DT64 an vorderster Front miterlebt. Damals war er drauf und dran, das Radiomachen aufzugeben, aber ein Freund von ihm wurde Chefredakteur bei Radio Brandenburg, und Bertram versprach sich von der personellen Besetzung der Chefetagen genug Spielraum für seine Arbeit. Die Bedingungen sind es auch, die ihn vor allem an den Sender binden. An seinen Posten fühlt er sich nicht gekettet: „Ich kann jeden Tag aufhören.“

Bei den Themen setzt er oft auf die kleinere Form, auf das pianissimo im kakophonischen Mediengedröhn. „Wenn es um Restjugoslawien geht, nehme ich ungern an der klassischen Nachrichtengebung teil. Ich glaube, daß man Leute hart macht und unempfindlich, wenn man ihnen jeden Tag erzählt, daß Truppen von A nach B gezogen sind und daß diesmal dreihundert statt fünfzig Leuten krepiert sind. Wir versuchen, von der Seite in das Thema reinzukommen. Wer kümmert sich in Brandenburg um Flüchtlinge, wer ist für die Kontrolle der Waffenlieferungsgesetze zuständig.“

Er räumt dem Radio keine allzu großen Chancen ein, Dämme gegen Verrohung zu bilden, aber er verhält sich entgegen dieser Überzeugung. Kein Gesprächspartner wird von ihm akustisch vernichtet, auch ein Waigel nicht. Wenn einer sich ins Off geredet hat, setzt bei Bertram eine Beißhemmung ein.

Der Mann stammt aus Osterfeld, einem kleinen Ort, „den selbst der Westberliner kennt, weil er auf der Transitstrecke zwangsläufig die Raststätte Osterfeld/ Naumburg passieren mußte“. „Spanish Boots of Spanish Leather“ grüßen manchmal in seiner Morgensendung, daß einem die Dusche ins Stocken gerät. Seine Leidenschaft für Bobby Dylan, über den er seine Diplomarbeit in Kultur- und Musikwissenschaften schrieb, stammt aus einer Tauwetterzeit der 70er Jahre.

Nach der dritten Hochschulreform der DDR und dem Prager Frühling wurden die Querdenker der Berliner Hochschulen sämtlichst in die Kulturwissenschaften verfrachtet, wo sie ihren Zöglingen einen explosiven Cocktail aus Frankfurter Schule, Existentialismus und klassischem Marxismus- Leninismus verabreichten. Daß er auch Fontane nicht verschmäht hat, hört man seiner Sprache noch immer an; „reüssieren“, „konvenieren“ muß da die „Chose“, und was der brandenburgischen Romanismen mehr sind.

Rollin', rollin', rollin': In Halle hat Bertram gelebt und in Wernigerode, und wenn's ihn nach Los Angeles verschlägt, mitten in die „Klapsmühle“, als die er Kalifornien erlebt hat, dann soll's uns nicht wundern. Einerseits ein Steppenwolf, ist Bertram andererseits auf ein Kollektiv angewiesen, weil er blind ist.

In der Ost-West-Grätsche zu agieren ist dem geborenen Ostler und späteren Mauerspringer keine Hürde – die Sachlage entscheidet's. Zwar sind seine Loyalitäten in bestimmten Sachfragen ganz klar. Wenn er beispielsweise eine Stunde Sendezeit ganz nach Gusto bestimmen könnte, würde er „eine Kampfsendung gegen die Telekom“ machen, die durch ihre versuchte Btx-Versorgung des Ostens mit „der Arroganz eines Staatsmonopols einen Zustand, der gut war, schlechter gemacht“ habe. „Ich stelle mir dann immer vor“, sagt Bertram, daß andere Leute, im Unterschied zu mir, nicht um sich hauen können.“ Für viele im Osten sei er „eine Art Robin Hood, der wiedergutmacht, was ihnen wiederfahren ist, und das mach' ich auch gern.“

Ganz fremd ist ihm dann aber auch der Wessi nicht, der den Ostlern die vier Wahlen vorhält, in denen sie ihr Schicksal bestellt haben. Auf eine der beiden Seiten schlagen kann und will er sich aber grundsätzlich nicht, er will sich sein Leben in jeder Beziehung offenhalten. Zunächst zieht er mal ins Brandenburgische. Mariam Niroumand

Am Sonntag kann man Lutz Bertram im Fernsehen begutachten: Der ORB zeigt um 13 Uhr „Deutschland kontrovers“, ein Gespräch mit dem Berliner Finanzsenator Pieroth und seinem brandenburgischen Amtskollegen Kührbacher.

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