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„Nicht so schick wie Blankenese“

■ Elbe-Einkaufszentrum: Marmor, Stein, Chrom, Glas - ein öffentlicher Platz wird verschluckt   Von Kaija Kutter

Der alte Mann lehnt sich ans goldene Geländer eines Juwelier-Geschäfts, Bänke gibt es noch nicht. Er ist ganz weiß im Gesicht. Müde schließt er die Augen. Ich sollte doch lieber seine Gattin fragen, wie es ihr gefällt. Die sei unterwegs im Hertie, auf der Suche nach einem „Örtchen für kleine Mädchen“, die Hinweisschilder hätten sie vergeblich gesucht.

Während wir warten, erzählt der pensionierte Maurermeister blöde Witze. „Wie kommt ein Neger nach Europa...schwarz natürlich.“ Enervierend. Daß jemand mit ihm spricht, scheint ihn so zu freuen, daß fünf Kalauer folgen. Er geht nicht oft einkaufen. Nivea-Creme ist bei Toom 1 Mark 50 teurer, mehr hat er noch nicht rausgefunden. Endlich kommt seine Ehefrau wieder. „Hier gehe ich kein zweites Mal hin“, sagt die 72jährige. Selbst mal Verkäuferin gewesen, bringt sie Kritik vieler Kunden an diesem langen Samstag auf den Punkt: „Keine frische Luft.“

Am Eröffnungstag des in 14 Monaten neugebauten Einkaufszentrums kamen 80.000. Heute sind es vermutlich noch mehr. In Strömen entsteigen sie den Buslinien, die von Klein- Flottbek aus im 5-Minuten-Takt durch öde Einfamilienhaussiedlungen den roten Backsteinkoloß ansteuern. Junge, Alte, Kinder, Teenies, Paare. Das kleine ABC der Einkaufszentrum-Kritik haben die meisten schon drauf. Zu bunt, zu verwirrend, 120 Geschäfte, wer findet sich da noch zurecht. Edle Damen aus Blankenese mit streng nach hinten zurückgekämmten Haaren suchen „ihren“ alten kleinen Buchladen, oder den Bastel-Laden, der mit seinem Sortiment in Sachen Seidenmalerei doch so einmalig war. Fehlanzeige. Statt dessen gibt es Schacht & Westtrich. Der vielgepriesene Branchen-Mix erinnert verdächtig ans Wandsbeker Quarree. Und die weiße Glaskuppel, das Wahrzeichen des „Centers“, sieht fast so aus wie die im EKZ-Schenefeld, nur etwas größer, sagt ein junger Mann, der seinen Arm um seine schwangere Freundin gelegt hat. Wie viele andere Jüngere ist er gar nicht mal so in Moser-Stimmung: „Das alte Zentrum hatte mehr Flair. Aber wenn es hier leerer wird, wird es bestimmt auch gemütlich.“

Man gebe uns Marmor, Chrom und Glas, dafür nehmen wir stickige Enge und saftige Preise für Fischbrötchen in Kauf. Der Samstag hat wieder ein Thema. Respektvoll schreiten Ehefrauen in kurzen Shorts, schwarzen Strümpfen und klackernden Pumps über diamantharten Bodenbelag (Rosa Porrinnho, lt. Center-Zeitung), um erhobenen Kopfes und Arm in Arm mit ihren Gatten ins Geschäft für „Tischkultur und Lebensart“ zu schreiten. Fünfzig verschiedene Schneebesen, Küchenmesser aus Keramik, Knoblauchpressen mit rostfreiem Stahlsieb, wer die im Elbe Wochenblatt beigelegte Center-Zeitung aufmerksam gelesen hat, weiß, wo es lang geht. Wir sind jetzt kultiviert. Na Gott sei dank.

Andere haben die Edelmasche durchschaut, rütteln respektlos an Porrinnho-Platten, die, ob der Eile schlampig verlegt, verrutschen. Oder klauen die schönen neuen blauen Tassen bei Tschibo. Oder kaufen einfach nichts. Sitzen rauchend am Rand der Blumenkästen: Bänke gibt es ja noch nicht.

Konsumieren, aber wie? Zu Hunderten stehen Menschen am obligatorischen Schlemmermarkt Schlange, um stehend Genuß-Symbole (Scampi, frischer O-Saft) zu verschlingen. Pfifferlinge, das Pfund zehn Mark. Multivitamin-Tabletten, im Dreierpack billiger, „Das brauchen wir, weil es in der normalen Nahrung nicht mehr drin ist“, selbst die Apothekerin lockt penetrant zum symbolischen Kauf. Wie eine Eintrittskarte hält eine ärmlich gekleidete Frau ihr Rezept in die Luft, gefolgt von ihrem Mann, der vor der Pharmazie stehenbleibt und eine Pocket-Kamera aus seinem Nylon-Rucksack fischt. „Wollen Sie fotografieren?“. „Ich weiß nicht“. Er steckt das Gerät wieder ein. Im Haus herrscht Fotografiertverbot. Sight-Seeing für Arme ist hier ebensowenig erlaubt wie Rauchen, Alkoholtrinken oder einfach ohne grund Rumsitzen. Die Männer vom privaten Sicherheitsdienst drücken an diesem Nachmittag nur deshalb ein Auge zu, weil die Schilder noch nicht hängen.

Auch wenn die EEZ-Zeitung vorgaukelt, der Center-Manager sei wie ein Bürgermeister besorgt um das Wohl der 435.000 potentiellen Kunden (es gibt sogar einen Kindergarten), mit der Umwandlung des 1966 erbauten EKZ in einen Glaspalast wurde wieder mal ein Stück öffentlicher Raum verschluckt. Nun reiben sich Osdorfer und Luruper Bürger verwundert die Augen. Jugendliche, die früher hier ihren Cliquen-Treff hatten, fragen verschüchtert nach dem Tabakladen. Alte Leute, die Freiluft-Konzerte auf dem „Hanseatenplatz“ gewohnt waren, haben schlicht nicht nötige Kondition. Eine arbeitslose Luruperin tröstet sich nüchtern drüber hinweg, daß sie hier offensichtlich nicht erwünscht ist: „So schick wie Blankenese ist das hier ja gar nicht“. Obwohl das die Zeitungen doch versprochen haben.

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