: Yanomami-Massaker ohne Leichen
Brasilianische Indianer wurden in Venezuela ermordet / Diplomatisches Hin und Her verhindert Aufklärung / Lebensbedingungen im Reservat haben sich verbessert ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Je mehr Zeit verstreicht, desto mysteriöser erscheinen die Massenmorde an den Yanomami. Das mutmaßliche Massaker an den Steinzeit-Indianern vor drei Wochen (die taz berichtete), das für internationale Schlagzeilen sorgte, ereignete sich nach Angaben der brasilianischen Bundespolizei nicht im Lande selbst, sondern im benachbarten Venezuela. Bei der Anzahl der Toten hat sich die offizielle Indianerschutzbehörde FUNAI ebenfalls verschätzt: Weder 19 noch 30, auch nicht 73, sondern 16 Yanomamis sind angeblich vor drei Wochen im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela im Amazonas ermordet worden.
Die Leichen der Yanomami scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Bis jetzt hat die brasilianische Polizei lediglich das Skelett einer Indianerin zwischen 18 und 22 Jahren gefunden, das deutliche Einschüsse im Schädel aufweist. Weitere materielle Belege für die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Indios und Goldgräbern, genannt Garimpeiros, sind Knochen- und Zahnreste in acht Feuerstellen in unmittelbarer Nähe der zerstörten Siedlung Haximu.
Nachdem eine Elitetruppe der brasilianischen Bundespolizei nach Meßarbeiten im Yanomami- Reservat feststellte, daß die Siedlung Haximu sich bereits auf venezolanischen Territorium befindet, sind die Ermittlungen ins Stocken geraten. Venezuelas stellvertretender Außenminister Fernando Gerbasi monierte am vergangenen Samstag gegenüber der Zeitung Jornal do Brasil, daß er von der brasilianischen Regierung immer noch keine Informationen über die Morde im Grenzgebiet vorliegen habe. Der venezolanische Botschafter in Brasilien, Sebastian Alegrett, hatte zuvor eine Beteiligung der Streitkräfte seines Landes an der Ermordung der Indianer bestritten. Damit wies er Anschuldigungen der Goldgräber- Vereinigung zurück, die die venezolanische Nationalgarde für den Tod der Indianer verantwortlich gemacht hatte.
Während die notwendige Aufklärungsarbeit nun im brasilianisch-venezolanischen Diplomtie- Dschungel festhängt, wendet sich Brasiliens Präsident Itamar Franco wieder seiner Routine zu. Er entließ FUNAI-Chef Claudio Romero, der seiner Ansicht nach bei der Veröffentlichung der Liste von 73 toten Yanomami „voreilig“ gehandelt hatte.
Romeros Nachfolger ist der 47jährige Dinarte Nobre Madeiro, der seit zwanzig Jahren bei der FUNAI arbeitet. Madeiro koordinierte vor zwei Jahren unter Brasiliens Ex-Präsident Fernando Collor die Rückzugsaktion der Garimpeiros aus dem Reservat der Yanomami (die taz berichtete). Im Jahr 1987, auf dem Höhepunkt des Goldrausches, befanden sich 45.000 Abenteurer in dem 94.000 Quadratkilometer großen Reservat im Norden Brasiliens. Heute wird die Zahl der Garimpeiros auf 600 bis 1.000 Personen geschätzt.
„Die Goldsucher, die jetzt noch drin sind, sind die gefährlichsten“, meint Christina Haverkamp. Sie reiste im Auftrag der Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker unmittelbar nach dem mutmaßlichen Massaker in das Reservat der Yanomami. Bei ihrem Besuch in der Siedlung Haximu, die vierhundert Meter von der Grenze Venezuelas entfernt liegt, fiel ihr auf, daß sich die gesundheitliche Lage der Yanomami wesentlich verbessert hat. „In den vergangenen drei Monaten gab es hier nur zwei Malariafälle“, wurde die Kielerin informiert. Christina Haverkamp war bereits 1991 mit einer Frauenexpedition in das Gebiet gereist.
Die Daten der brasilianischen Gesundheitsbehörde „Fundacao Nacional de Saude“ (FNS), die in dem Yanomami-Reservat 23 Gesundheitsposten betreibt, bestätigen die Beobachtung. Während 1990 knapp 90 Prozent der rund 9.000 Yanomamis an Malaria erkrankt waren, lag der Prozentsatz in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei „nur“ 17 Prozent. Auch das Bevölkerungswachstum ist wieder in Gang gekommen. Während im Jahr 1991 gerade 52 Geburten im ganzen Reservat verzeichnet wurden, kamen im vergangenen Jahr 224 Yanomami zur Welt. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 86 Geburten registriert. „Das Leben im Reservat hat sich normalisiert, die Indios bestellen wieder ihre Felder“, meint auch Leda Martins, Pressesprecherin der FNS in Boa Vista, der Hauptstadt des nordbrasilianischen Bundesstaates Roraima.
Die Zahlen würden allerdings regional sehr unterschiedlich ausfallen: In Haximu, wo noch intensiv Goldschürferei betrieben wird, sind 1992 gerade neun Yanomamis geboren worden. In der Siedlung Sururucu hingegen kamen 59 Babys zur Welt.
Don Aldo Mogiano, Bischof von Roraima, bestätigt ebenfalls, daß sich die Lage der Yanomami- Indianer verbessert hat. „Es gibt mehr Medikamente und Krankenschwestern, und auch das Indianer- Krankenhaus „Casa do Indio in Boa Vista“ ist besser ausgerüstet“, erklärt der Geistliche. Ein Drittel der Indianerdörfer im Reservat werden von der FNS systematisch betreut.
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