■ Berlinalien: Der Tenno in der Humboldt-Uni
Berlin (taz) – Der Tenno kommt. Jetzt sind sie alle ganz kirre in Berlin. Der Tenno, Akihito Tsuyu No Mija, ist der Kaiser von Japan, mithin der höchster Repräsentant eines Landes, das als Blanko-Vorbild herhalten muß im wiedervereinigungs- und rezessionsgeschädigten Deutschland. Was die Japaner auch machen und wie sie es tun – es ist immer besser. Und nun dies: „Hilfe, die Japaner laufen uns weg“, stöhnt Piefkes Leib- und Magenblatt BZ. Von 50 japanischen Investoren hätten 15 der Spree schon wieder den Rücken gekehrt. Da ist der Besuch des Kaisers ein Lichtblick.
Auf Überraschungen darf man freilich gespannt sein. Der Tenno ist bekannt für unkonventionelle Auftritte. Erster Bürger will er sein und weniger einer aus der 2.653 Jahre währenden Kaiserdynastie Nippons. In Japan fuhr er, alle Regeln brechend, demonstrativ U-Bahn und brachte damit das kaiserliche Protokoll samt 1.160 Hofbeamten in Wallung. In Berlin rannen schon im Vorfeld die Schweißperlen von Diepgens Protokollchef. Zu wenig sei ihm eine halbe Stunde für einen Besuch der Humboldt- Universität, ließ der Tenno wissen. Ausdrücklich will der studierte Volkswirt und Politologe Akihito die älteste Berliner Universität, gegründet 1810, besuchen. Für die „sozialistische Kaderschmiede“ wird das eine gewaltige Image-Aufwertung. Plötzlich mögen alle das ungeliebte Kind der Stadt, das sie vor zwei Jahren wegen Stasi- und SED-Mißbildungen beinahe abgetrieben hätten.
Der Tenno weiß, eher als mancher Berliner, daß die „Alma mater Berolinensis“ die Mutter der modernen europäischen Universität ist: Stichwort – Einheit von Forschung und Lehre. Sogar in Japan haben sie, wenn auch eigenwillig, die Konstruktion der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität abgeguckt. Die Uni genieße noch heute einen „außerordentlichen Ruf“ auf der Insel in Fernost, schwärmte Vizepräsident Hasso Hofmann verdattert. Hofmann, ein Wessi aus Würzburg, scheint da erst so richtig gemerkt zu haben, wohin es ihn berufen hat.
Des Tennos Nachhilfe für die Piefkes entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Anläßlich eines flattrigen Plastikschlosses schwadroniert alles über den architektonischen Schwerpunkt, den man mit der Hohenzollernbude wiedergewänne. Gleichzeitig rupft man der maroden Metropole ihr geistiges Herz heraus. Die renommiertesten Teile der Humboldt-Uni nämlich, die naturwissenschaftlichen und mathematischen Fachbereiche, sollen nach Adlershof verfrachtet werden. Wo das ist? Jwd, würde der Berliner sagen, janz weit draußen. Man stelle sich vor: Der Tenno auf dem Weg nach Adlershof! Da wäre das Stündchen, das er sich mittlerweile für seine Uni-Visite erkämpft hat, für die Anfahrt draufgegangen. Christian Füller
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