Berlin zahlt doppelt für Haushaltsstrom

■ Öffentliche Gebäude im Westteil zahlen kuriosen Preis Verwaltung: Kein Nachteil / Grüne wollen Vertrag sehen

Haushaltsstrom in den öffentlichen Gebäuden von Westberlin kostet doppelt soviel wie üblich. Privatabnehmer zahlen für eine Kilowattstunde 28 Pfennig — Rathäuser, Schulen, Kindertagesstätten oder etwa Jugendzentren dagegen 56 Pfennig, berichtete Bärbel Krüger vom Energieteam der taz. Das Team prüft derzeit die öffentlichen Gebäude des Bezirks Charlottenburg auf Energiesparmöglichkeiten und war nur zufällig auf den kuriosen Tarif gestoßen. Schuld daran sei ein „Stadtvertrag“, den der Senat im Jahr 1977 mit der Bewag abgeschlossen hatte, erläuterte Krüger.

Bei den Mehrkosten kommen höchstwahrscheinlich Millionenbeträge in zweistelliger Höhe zusammen. Eine genaue Summe war aber nicht herauszufinden, weil die Bewag zu Verträgen „grundsätzlich keine Auskünfte“ gibt und die zuständige Bauverwaltung die Frage offenbar nicht schnell klären kann. Die öffentlichen Gebäude Westberlins beziehen etwa zu einem Sechstel Haushaltsstrom, der überwiegende Teil verbraucht Mittelspannung (10.000 Volt), sagte Günter Sperling von der Bauverwaltung. Laut Schätzung des umweltpolitischen Sprechers von Bündnis 90/Grüne, Michael Berger, belaufen sich Berlins Stromkosten auf etwa 450 Millionen Mark jährlich.

Sperling rechtfertigte den überhöhten Tarif. Berlin sei bei der Bewag ein Gesamtabnehmer, um den Verwaltungsaufwand gering zu halten. Der 1977 ausgehandelte Tarif beinhalte zwar überteuerten Haushaltsstrom, dafür sei der Verbrauch von Mittelspannung sehr viel billiger als gewöhnlich. Wie der Leiter des Referats Elektrotechnik, Joachim Rosenlöcher, erläuterte, komme am Ende der gleiche Preis heraus wie bei anderen Privatverbrauchern auch. Haushaltsstrom sei teurer und Mittelspannung billiger, damit es einen Anreiz für die Umstellung auf Mittelspannung gebe, um das Stromnetz für Kleinverbraucher freizuhalten. In öffentlichen Gebäuden muß bei einer Umstellung auf 10.000 Volt ein Transformator eingebaut werden. Wie niedrig die Tarife für 10.000 Volt sind, wußten allerdings weder Rosenlöcher noch Sperling zu beantworten.

„Diese Argumentation ist überhaupt nicht einleuchtend“, widerspricht Energiepolitiker Berger der Darstellung der Bauverwaltung. Er habe noch nie davon gehört, daß private Großabnehmer etwa aus der Industrie Nachteile in Kauf nehmen müßten, nur weil auch ihnen ein günstiger Preis für Mittelspannung eingeräumt werde. Das Land Berlin sei sicherlich die einzige Ausnahme. Berger vermutet hinter der ungewöhnlichen Tarifgestaltung zwischen Senat und Bewag versteckte Subventionen und glaubt, daß der Vertrag anfechtbar sei. Dafür müsse das Werk allerdings erst einmal „auf den Tisch“.

Wie die Bauverwaltung mitteilte, könne der Stadtvertrag jederzeit geändert werden. An einer Änderung sei der Senat zur Zeit allerdings nicht interessiert. Dirk Wildt