piwik no script img

Zunehmende Bilder

Das siebte Freiburger Videoforum  ■ Von Jürgen Berger

D. S. Baldajew zeichnete heimlich, wie in sowjetischen Lagern gefoltert wurde. Heute hängen viele der Zeichnungen in seinem St. Petersburger Domizil, sozialistisch- realistisch gedacht und sado-voyeuristisch getränkt. Es sind Momentaufnahmen in einer zum Horrorkabinett mutierten Wohnung, die den Verdacht aufkommen lassen, er habe in den Jahren der Stalinschen Endlösung die Folterpraktiken nicht nur registriert. Je länger Baldajew erzählt, desto deutlicher wird: Er war in den Gulags und Gefängnissen nicht nur mit dem Zeichenstift tätig.

H. P. Böffgen hat den ehemaligen NKWD-Mitarbeiter, Gefängnisblockwart und Kripo-Beamten im heutigen St. Petersburg aufgesucht und ist ihm vier Tage so mit der Kamera gefolgt, daß eine Heimsuchung daraus wurde. Der Gulag-Zeichner inszeniert sich selbst, Böffgen begleitet ihn kommentarlos, ohne interpretierende Schnitte und hart am Rande der Gefahr, dem Selbstdarsteller auf den Leim zu gehen. Doch Baldajews Selbstinszenierung kehrt sich gegen ihn selbst, so daß eine bemerkenswerte Studie des autoritären Charakters daraus wird, die im russischen Fernsehen in einer auf die Hälfte reduzierten Fassung zu sehen sein wird (was dem Film nicht unbedingt schaden dürfte), während deutsche Anstalten glauben, dem Zuschauer sei so etwas nicht zuzumuten.

Auf Freiburgs „Videoforum“ werden politisch-dokumentarische und experimentelle Videos gezeigt, wenn es dabei wie in diesem Jahr schwerpunktmäßig um die rechtsradikale Aufrüstung und (als Kontrapunkt) um Opfer/Zeugen der Nazizeit geht, kann die Beschäftigung mit Zeitzeugen wie in Katja Dringenbergs „Kindheit hinter Draht“ zum Problem werden. Sie ist mit zwei tschechischen Juden an die Orte ihrer Jugend zurückgekehrt, nach Theresienstadt, Auschwitz, Buchenwald, Dachau, und hat eine weitere Dokumentation über die Hilflosigkeit der Opfer angesichts ihrer Lebensgeschichte zusammengestellt. Die intendierte und notwendige Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Greuel will auch in diesem Fall nicht gelingen, da die beiden Zeitzeugen an den Orten des Unfaßbaren Schutzwälle aufbauen, individuelle Regungen unterdrücken. Was in Ihnen wachgerufen wird, bleibt fern, nahe liegt das allgemeine Statement als Schutz gegen die Erinnerung.

Anders in Ullabritt Horns „Heimat, das hat der Hitler ausgestrichen...“, in dem die individuelle Lebensgeschichte nicht hinter dem Grauschleier der Zeitgeschichte verschwindet. Ihre Dokumentation lebt von einem jüdischen Ehepaar, zwei selbstironischen Hauptdarstellern, die von ihrer Vertreibung aus Nazideutschland, dem Exil im damaligen Rhodesien (wo sie anfänglich für Nazis gehalten wurden), ihrer Rückkehr nach Nürnberg und von ihrem respektlosen Umgang mit den zeitgeschichtlichen Verwerfungen berichten. Er sieht früh, was gespielt wird und nimmt kein Blatt vor den Mund. Emigrieren hätten sie schon sollen, bevor es fast zu spät war, vielleicht schon, als ihre vermeintlich beste Freundin sich in der Straßenbahn das Du verbat – aber da sind ja die roten Dächer der fränkischen Häuser, die er als erstes wiedersieht, wenn sie zurückkehren. Es könnte sentimental werden, sie aber, souverän, als stünde es im Drehbuch, unterbricht ihn mit einer ironischen Bemerkung und erzählt eine andere Geschichte.

Die beiden sind in hohem Alter zurückgekehrt und könnten sich angesichts der Bilder in „Wer Gewalt sät...“ fragen, ob es nicht besser wäre, wieder zu gehen. In der journalistisch sauberen Beweisführung, von WDR-Redakteur Gert Monheim hauptsächlich mit Archivmaterial zusammengestellt, wird alleine durch Bündelung vorhandenen Materials deutlich, daß die Eskalation in Rostock bis hin zu den Pogromnächten von den politisch Verantwortlichen gewollt war. Klassisch unspektakulär macht Monheim das, spektakulär jedoch, daß die 45 Minuten im WDR gesendet wurden. Ein Film wie der von Martin Pfeil (freier Autor und Kameramann beim bayerischen Fernsehen) und drei Koautoren dürfte da schon größere Chancen haben. Er ist von geradezu rührender Harmlosigkeit.

„Als die Sonne ihr Gesicht verbarg“ wird düster getitelt, und dann darf jeder der Autoren mal ran: Vereinigungstaumel kontrastiert mit prügelnden Neonazis, bibelschwangere Zitate aus dem Off und eine Ordensschwester, die im Dritten Reich euthanasiebedrohte Heimkinder zu retten versuchte. KZ-Stacheldraht gibt's natürlich auch — und Blutszenen aus Sarajevo. Emotionen wolle man wecken, meinte Pfeil in der anschließenden Diskussion, und tatsächlich: Die Autoren waren während der Produktion wahrscheinlich so ihren Adrenalinstößen ausgeliefert, wie es Oliver Tolmein selbst dann nicht war, als ihm nach seinem Fernsehinterview mit RAF- Gefangenen die NDR-Chefredaktion im Nacken saß.

Nach der Kinkel-Initiative und dem Deeskalationsangebot von seiten der RAF, konnte Tolmein für den NDR das erste Fernsehinterview mit Irmgard Möller, Gabi Rollnik, Christine Kuby und Hanna Krabbe im Lübecker Hochsicherheitstrakt führen. Das Frappierende an diesem Interview und der folgenden Livesendung, die Tolmein zusammen mit Roger Willemsen in Celle (Karlheinz Dellwo, Lutz Taufer, Knut Folkerts) für den Privatsender „premiere“ leitete: Das Medium wurde in diesen Fällen tatsächlich zum Medium und moderierte einen politischen Prozeß. Die Hochsicherheitsgespräche waren von seiten des Staates und des Senders als Test auf Anzeichen einer tätigen Reue der Inhaftierten gedacht. Die aber gaben sich in diesem Punkt eher herbe, was für Abkühlung schon vor Bad Kleinen gesorgt haben dürfte.

Für den Förderpreis des Videoforums (3.000 DM) kamen Tolmeins zweimal 45 Minuten nicht in Frage, denn der wird an ein „innovatives, formal und inhaltlich herausragendes Video“ vergeben. Die Jury entschied sich für Thomas Kutschkers „Ich wollte einfach dieses Photo haben“, eine raffinierte Umsetzung der zynischen und grotesken Züge zeitgenössischer Kriegsberichterstattung. Photograf Olaf Wyludda will in Kroatien die Tötung einer flüchtenden Frau mit ihrem kleinen Jungen photographieren. Er hat alles berechnet, die Granate muß jeden Augenblick einschlagen, er stürzt in Position – da wird er von einem Granatsplitter getroffen. Zum Abdrücken reicht es nicht mehr. In Kutschkers halbstündigem Video ist lediglich die Stimme des „unglücklich“ Niedergestreckten zu hören und wie er das Schicksal verwünscht, das ihm das ultimative Bild verweigerte. Dazu spielt Kutschker mit der Erwartungshaltung des Publikums, zeigt „geglückte“ Bilder des Kriegsphotographen mit variierter Unschärfe, ohne daß jemals dpa-Standard erreicht würde. Einige Festivalstunden vor dieser Geschichte des nicht entstandenen Bildes, gab es als Auftakt des Videoforums Harun Farockis und Andrei Ujicas „Videogramme einer Revolution“: Die Geschichte epidemisch zunehmender Bilder nach Ceausescus Sturz. Farocki/Ujicas Video allerdings ist keine Dokumentation der Ereignisse, sondern ein verkrampfter Versuch, die Theorie von der Kamera als neuem Subjekt der Geschichte zu belegen. Was eine schlichte Dokumentation der scheinbaren Demokratisierung des Videobildes im Zentrum des Umsturzes hätte werden können, gipfelt im medienphilosophischen Kurzschluß, die Bilder hätten den Gang der Ereignisse für eine bestimmte Zeit gesteuert. Und das, obwohl zu Beginn das phänomenale Bild des verunsicherten Ceausescu zu sehen ist, der vom Kundgebungsbalkon aus zur möglichen Quelle seiner Verunsicherung sieht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Würfel bereits gefallen, davon allerdings, warum und wie sie fielen, existiert kein Bild.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen