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Crack - bislang kein Thema

■ In Berlin wurde noch kein Gramm Crack beschlagnahmt / Rauschgiftfahnder hoffen, daß der Kelch an der Stadt vorübergeht / Besseres Hilfsangebot als in USA

Carlos * ist scharf auf Crack. „Der Crack-Kick ist mindestens fünfmal so stark wie der von Kokain“, schwärmt der 32jährige Spanier, während er es sich auf seiner Couch bequem macht und die Droge zum Rauchen aufbereitet. Carlos zieht den Rauch tief in die Lunge, legt sich zurück, schließt die Augen und bedeckt mit den Händen seine Ohren, um sich von der plötzlich unerträglich lauten Umwelt abzuschirmen. Nur die nach oben gezogenen Mundwinkel lassen etwas von der lustvollen Explosion in Carlos' Kopf erahnen, die so gierig macht auf Wiederholung und deren zuliebe Menschen betrügen, stehlen, rauben oder sogar töten. Carlos lebt nicht in der Bronx oder in Harlem, weder besorgt er sich das begehrte Rauschgift bei einem bis an die Zähne bewaffneten Ghettodealer, noch genießt er es in einer der zahlreichen New Yorker Crack-Höhlen. Carlos lebt seit acht Jahren in Berlin, in der ebenso wie in London und Paris die Crack-Sucht allenfalls eine Randerscheinung ist – noch?

Gegen die Seuche Crack wird in den Vereinigten Staaten seit Jahren vergeblich gekämpft. Die aus mit Backpulver versetztem Kokain gewonnene Droge ist auf dem amerikanischen Drogenmarkt unbestritten die Nummer eins. Die Wirkung gleicht der des Kokains, der Rausch ist zwar etwas kürzer, dafür aber viel stärker. Der Crack- Sucht sind unzählige junge Amis verfallen. Im Vergleich zu Heroin oder Kokain erfolgen der soziale Abstieg und der körperliche Verfall in atemberaubendem Tempo, die Heilungschancen sind gering. In Europa konnte die Droge bislang nicht Fuß fassen, obwohl sie alle Merkmale eines „absatzfreudigen Produkts“ besitzt.

Seine Leidenschaft teilt Carlos mit nur wenigen Freunden, wobei er eifrig darauf bedacht ist, das Wissen um die Herstellung der Droge für sich zu behalten. „Crack aus Kokain zu gewinnen ist ein Kinderspiel, dafür braucht man keinen Chemiker. Ein- oder zweimal genau zusehen, und du kannst es.“ Den eigenen Worten nach ist er sich wohl darüber im klaren, welche Gefahren die Droge birgt. Die Gier nach dem Kick sei geradezu gigantisch, er dämpfe sie jedesmal mit Heroin, denn nur so sei es ihm bisher gelungen, den Crack- Konsum im Griff zu behalten. Abgesehen von seinen Freunden weiß Carlos nur von wenigen Crack- Usern in Berlin. Ob der Droge in Deutschland eine Zukunft beschieden ist, darüber möchte er nicht spekulieren. Er glaubt aber schon. Auch ein Ex-Junkie ist dieser Auffassung. Die Entwicklung in Deutschland hinke der in den USA nun mal die obligatorischen zehn Jahre hinterher. „Crack wird auch nach Berlin vordringen“, ist er überzeugt.

Weniger dramatisch indes sehen die Behörden die Zukunft. Die stellvertretende Drogenbeauftragte des Landes Berlin gibt Crack in der BRD kaum eine Chance. Im wesentlichen deshalb, weil Deutschland nur begrenzt mit Amerika vergleichbar sei. „Wir leben in einem anderen System“, sagt sie. Der strukturelle Nährboden für die Droge fehle, wie zum Beispiel die totale Perspektivlosigkeit der überwiegend farbigen Ghettobewohner. Crack, so betont sie, sei so gut wie unlösbar mit dem Ghetto verbunden. In Berlin dagegen könnten die Süchtigen auf ein relativ großes Hilfsangebot zurückgreifen, und die meisten Abhängigen stünden in Kontakt mit der Drogenberatung. Solche Anlaufstellen bildeten eine wichtige Funktion, die Abhängigen würden über Neuerungen und Gefahren informiert und lernten neue Verhaltensstrategien. „Unsere Junkies sind aufgeklärt, in Amerika ist das nicht der Fall.“ Den Drogenabhängigen in den USA biete sich nicht die Chance, auf ein solches Netzwerk zurückzugreifen, sie seien erheblich mehr auf sich selbst gestellt.

Bleibt die Tatsache, daß für die Drogenhändler Crack das Geschäft schlechthin ist. Für die Herstellung bedarf es weder eines Chemikers noch komplizierter und teurer Apparaturen. Crack kostet im Straßenhandel erheblich mehr als Kokain und erzeugt eine enorme Nachfrage. Noch aber ist Crack auf dem deutschen Drogenmarkt kein Thema. Ein Kommissar des Rauschgiftdezernats „dankt Gott dafür“. So habe man bisher in Berlin kein einziges Gramm der Droge beschlagnahmt. Deutschlandweit verhalte es sich nach seinen Erkenntnissen ebenso. Der Beamte will aber keine Prognose wagen, er hofft nur, „daß dieser Kelch an uns vorübergeht“.

Vereitelt werden könnte der Wunsch des Kommissars von der Probierbereitschaft der Junkies, denn viele zeigen sich durchaus neugierig: „Wenn's mir einer geben würde, den ich kenne...“, meint die 27jährige Anne * zuerst zögernd, fügt dann aber rasch hinzu: „Interessieren würde es mich eigentlich schon mal.“ Er habe von dem „tollen Kick“ gehört und würde sie ohne zu zögern nehmen, meint ein anderer. „Ja, warum ist sie eigentlich noch nicht auf dem Markt“, meint ein türkischer Dealer. Vorstellen könne er sich, daß Großhändler die Finger vom Crack ließen, weil die Polizei dann keine Gnade mehr kenne. Er sei sich auch nicht sicher, ob er diese Droge verkaufen werde. „Wenn es aber die anderen machen...“ Robert Meyer

* Namen von der Red. geändert.

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