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Olympischer Countdown läuft

Bündnis 90/Die Grünen drohen mit Regierungswechsel und Referendum / Prenzelberger fordern Bürgerbeteiligung / CDU hetzt gegen „Saboteure“ / Peking: Berlin weit abgeschlagen  ■ Von Uwe Rada

Vierzehn Tage vor der „Jahrhundertentscheidung“ in Monaco steuern die Berliner Olympiagegner via Bundespost in die Zielgerade. In einem Brief an das IOC warnt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen davor, „daß mit den Wahlen 1995 mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Ablösung des jetzigen Senats in Berlin ausgegangen werden kann“. Wie die Abgeordnete Judith Demba der taz erklärte, soll damit vor allem dem offiziellen Bewerbungstenor widersprochen werden, der von einer parlamentarischen Mehrheit von 77,9 Prozent für die Spiele ausgehe. In der Bewerbung heißt es wörtlich: „Die Möglichkeit, daß eine der gegenwärtigen Oppositionsparteien die Mehrheit erringt, steht nicht zur Debatte.“

Für den Fall, daß Berlin am 23. September den Zuschlag erhält und Bündnis 90/Die Grünen 1995 ins Rathaus ziehen, kündigte die Fraktion eine Volksabstimmung zur Frage der Spiele im Jahr 2000 an. Demba verwies in diesem Zusammenhang auf ein ähnliches Referendum in Denver: Nachdem die Stadt 1971 vom IOC den Zuschlag für die Winterspiele 1976 erhalten hat, setzte eine Initiative namens „Bürger für Colorado“ ein Referendum durch, in dem sich im November 1972 57 Prozent der Bewohner gegen weitere finanzielle Zuwendungen für Olympia aussprachen. Das IOC entzog der Stadt daraufhin die Spiele und vergab sie an die Konkurrenzstadt Innsbruck. In dem ironisch verfaßten Brief an die 94 IOC-Mitglieder wird für den Fall einer grünen Regierungsbeteiligung außerdem die Sperrung der Innenstadt auch für die Autos der Sportfunktionäre sowie die Unterbringung der IOC- Mitglieder in „ordentlichen Mittelklassehotels“ bei „angemessener Eigenbeteiligung“ angekündigt.

Als „geschmacklos, präpotent und Berlin-feindlich“ bezeichnete gestern der Parlamentarische Geschäftsführer der Berliner CDU- Fraktion, Liepelt, die „Schmähschrift“ der Grünen: „Die Berlinerinnen und Berliner wissen jetzt“, so Liepelt, „in welcher Fraktion die Saboteure ihrer Zukunft sitzen“. Durch die Mitunterzeichnung von Judith Demba dränge sich zudem die Vermutung auf, daß Teile der AL-Fraktion eine „klammheimliche Verbindung zur kriminellen NOlympics-Bewegung“ unterhielten.

Unterdessen wandten sich 100 BürgerInnen aus Prenzlauer Berg ebenfalls an das IOC. In dem Schreiben, das unter anderem von Bärbel Bohley, Frank Castorf, Hans-Eckhardt Wenzel, Gert Poppe und Christoph Links unterzeichnet ist, wird vor allem die mangelnde Bürgerbeteiligung sowie die Gewalt gegen Ausländer beklagt. Kritisiert wird weiter, daß der Baubeginn für die Boxhalle mit einem Polizeiaufgebot „geschützt“ werden mußte, das nur mit dem Polizeieinsatz während der 40-Jahre-DDR-Feier am 8. Oktober 1989 zu vergleichen sei.

Die neuesten Prognosen über die Entscheidung wurden unterdessen von IOC-Vize Zhenliang He in die Runde geworfen. Wie in der Septemberausgabe der International Inside Sports Newsletter berichtet wird, geht das chinesische IOC-Mitglied von 40 festen Stimmen für Peking aus und rechnet mit einer Entscheidung für die Stadt bereits in der ersten Runde. Mit 16 Stimmen sei Berlin neben Manchester und Istanbul abgeschlagen. Gestützt werde diese Vermutung durch Gerüchte, nach denen die Anti-Peking-Kampagne in den USA zu einer Art Trotzreaktion der IOC-Mitglieder führen und letztlich nur der Bewerberstadt Sydney schaden werde.

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