: Philippinische Verteidigung
Seit gestern spielen die vom Verband verstoßenen Schachrebellen Garri Kasparow und Nigel Short in London um die Weltmeisterschaft ■ Von Matti Lieske
Eigentlich ist alles wie gehabt. Zum sechsten Mal spielen Garri Kasparow und Anatoli Karpow um die Weltmeisterschaft im Schach. Nur tun sie es diesmal nicht gegeneinander, sondern sie sitzen an verschiedenen Brettern. Der eine, Kasparow, schlägt sich im Savoy-Theater von London mit dem 28jährigen Briten Nigel Short herum, der sich unter anderem durch Siege gegen Karpow und den Niederländer Jan Timman als Herausforderer qualifiziert hat. Der andere, Karpow, bestreitet ein dubioses Match gegen ebendiesen Timman, wobei die maximal 24 Partien auf die niederländischen Städte Zwolle, Arnheim und Amsterdam sowie das Sultanat Oman verteilt sind. Mit am Brett sitzt jedoch noch ein Fünfter: Florencio Campomanes, der philippinische Präsident des Internationalen Schachverbandes (FIDE), dessen Machtkampf gegen Garri Kasparow auf Messers Schneide steht.
Die Fehde begann im Februar 1985, als Campomanes den ersten Titelkampf zwischen dem damaligen Champion Karpow und dessen ungestümen Herausforderer Kasparow nach einer schier endlosen Remis-Serie einfach abbrach und seinem Günstling Karpow dadurch den Titel erhielt. Kasparow, ungleich genialer als der nüchterne Tolja mit dem braven Scheitel und der linientreuen Gesinnung, war jedoch nicht aufzuhalten, wurde noch im selben Jahr Weltmeister und Campomanes mußte sich fortan mit dem frechen Emporkömmling arrangieren.
Eine brüchige Liaison, denn anders als die meisten seiner großmeisterlichen Kollegen interessierte sich Kasparow nicht nur für Damen und Könige, sondern besaß seine eigenen Ideen über die Zukunft des Schach und insbesondere dessen Vermarktung, die mit den traditionellen Vorstellungen der Verbandsfunktionäre wenig gemein hatten.
Bereits 1986 gründete der rührige Aserbaidschaner die „Vereinigung der Großmeister“ (GMA), die zuerst regen Zuspruch fand, dann jedoch wieder zusammenbrach. Anders als die Individualisten des Tenniszirkus waren die Koryphäen des Schachs nicht dauerhaft in der Lage, ihre Rivalitäten einem gemeinsamen Interesse unterzuordnen. Zudem verprellte der Präsident, selbstredend hieß dieser Kasparow, durch seine arrogante, selbstherrliche Art die Mitglieder und war bald wieder auf sich allein gestellt.
Kasparows besonderes Interesse galt den USA, wo der Boom, den Bobby Fischer 1972 mit seinem WM-Gewinn entfacht hatte, längst in sich zusammengebrochen war. In den Staaten wittert der 30jährige jede Menge Dollars, wenn es nur gelingt, das Schach „in ein großes Spektakel zu verwandeln, das das Fernsehen anzieht“. Mit all seiner Macht kämpfte er darum, Marokko als Bewerber für die WM 1993 abzulehnen und den Titelkampf in Los Angeles auszutragen. Der Weltmeister setzte sich durch, doch nach den Unruhen zog die kalifornische Stadt ihre Zusage wieder zurück. Verschiedene Tourneen durch die USA sowie die Austragung eines Teils der WM 1990 in New York hatten nicht gereicht, das langwierige Spiel dem Action-verliebten amerikanischen Publikum schmackhaft zu machen, das laut Sports Illustrated Probleme hat, „einen Sowjet als Idol zu akzeptieren“.
Die FIDE bestimmte kurzerhand Manchester zum Austragungsort, was die beiden Kontrahenten rundweg ablehnten. Kasparow und Short, bis dahin bitter verfeindet, gründeten analog zur ATP, der Tennisspielergewerkschaft, die Professional Chess Organisation (PCA), nahmen Kontakt zum Marketing-Giganten IMG auf, wurden von der FIDE- Weltrangliste gestrichen und organisierten, gesponsert von The Times, ihr eigenes WM-Turnier in London mit vier Millionen Mark Preisgeld. Die FIDE ernannte einfach die beiden nächsten auf der Rangliste, Karpow und Timman, zu WM-Kandidaten, hatte jedoch erhebliche Schwierigkeiten, das Duell der zweiten Garnitur auf die Beine zu stellen. Manchester, das mit dem Kasparow-Spektakel seine Olympiabewerbung forcieren wollte, mochte mit der Karpow-Farce nichts zu tun haben, und die eingesprungenen niederländischen Veranstalter tun sich schwer, Sponsoren zu finden und das ausgelobte Preisgeld zusammenzukriegen.
Das weltweite Interesse gilt der Londoner WM, auch wenn Kasparow klarer Favorit ist und Nigel Short nur von Ex-Champion Michail Botwinnik und ihm selbst echte Chancen eingeräumt werden. Bislang verhielten sich die übrigen Spitzenspieler reserviert zur Spielergewerkschaft der zwei Abtrünnigen, sollte jedoch die angestrebte Show im Londoner Savoy Hotel mit „24 herzstoppenden Partien“ der versprochene, mediengerecht servierte Knüller werden und die Konkurrenzveranstaltung der erwartete Flop, könnte sich das schnell ändern. Die philippinische Verteidigung des FIDE-Königs Campomanes würde dann möglicherweise zu einem schnellen Matt führen.
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