Filmische Wunderwaffe

Am Drehort sicher ans Ende des Krieges: „Das Leben geht weiter“. Hans-Christoph Blumenbergs Buch rekonstruiert die Geschichte des letzten Nazi-Durchhaltefilms  ■ Von Klaus Dermutz

Im letzten Kriegswinter werden in den Babelsberger Studios alle Kräfte mobilisiert. Mit „Das Leben geht weiter“, unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner, will der Propagandaminister Joseph Goebbels die unmittelbar bevorstehende Kriegsniederlage abwenden. Genau 121 Drehtage sind für dieses Mammutprojekt vorgesehen, cirka 50 Tage mehr als bei jeder anderen Produktion. Der Film wird mit Hilde Krahl, Marianne Hoppe, Gustav Knuth, Viktor de Kowa und Heinrich George hochkarätig besetzt.

„Das Leben geht weiter“ ist ein Durchhaltedrama und spielt in der zweiten Hälfte des Jahres 1943. Der Diplom-Ingenieur Ewald Martens arbeitet im Auftrag des Rüstungsministeriums an einem Frequenz-Peilgerät, das den deutschen Piloten den entscheidenden Vorteil im Luftkampf mit den Alliierten bringen soll.

Der Filmhistoriker und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg hat sich die schwierige Aufgabe gestellt, den Produktionsverlauf von „Das Leben geht weiter“ von April 1944 bis April 1945 so lückenlos wie möglich zu rekonstruieren. Er führte zahlreiche Interviews mit Mitarbeitern des Films und den Beschäftigten der Ufa. Blumenberg sprach auch mit den Hauptdarstellerinnen Hilde Krahl und Marianne Hoppe, fand in einem Potsdamer Archiv die Produktionstagebücher, wertete ein Transskript von Tonbandgesprächen aus, die die Schauspielerin und Regisseurin Johanna Liebeneiner mit ihrem Vater geführt hatte. Außerdem vertiefte er sich am Institut für Zeitgeschichte in München noch in die bislang unveröffentlichten Goebbels-Tagebücher des Jahres 1944, um genauestens die Propagandaziele dieses Monumentalwerks zu erforschen.

Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten ist Berlin längst eine Todeslandschaft. Die zerbombte Stadt muß also in den Babelsberger Ateliers nachgebaut werden. Goebbels schwebt ein Stadtfilm vor, wie ihn die deutschen Zuschauer bislang noch nicht gesehen hatten. Bereits am 25. September 1940 notiert er in sein Tagebuch: „Ein Film für das richtige Berlin tut not. Berlin ist im Film noch nicht entdeckt.“ Nach Goebbels' Vision – auf ihn geht die Filmidee zurück, den Produktionsablauf hat er überwacht – hätte „Das Leben geht weiter“ ein Epos werden sollen, das den Berlin-Mythos und die heldenhafte Aufopferung der Menschen grandios in Szene setzt.

Am Ende der filmischen Allmachtsphantasie, die die Deutschen zum Endsieg treiben sollte, steht die NS-Götterdämmerung und der Selbstmord Joseph Goebbels' gemeinsam mit seiner Frau (und der Mord an den Kindern) am 1. Mai 1945.

Wolfgang Liebeneiner nützt unterdessen die Regiearbeit an dem Monumentalwerk, um sicher das Ende des Krieges zu erleben. Die Produktion wird in die Lüneburger Heide verlegt, in den Frieden hinein verbummelt.

Erich Kästner hat im Zillertal als Drehbuchautor des Ufa-Films „Das verlorene Gesicht“ ein sicheres Plätzchen vor den Bombenangriffen auf Berlin gefunden und freut sich, daß „eine zweite Mannschaft einen Film in der idyllischen Lüneburger Heide verfertigen solle“: „Die Methode“, so Kästner, „beide Pläne durchzusetzen, sei denkbar einfach gewesen. Man habe ein paar konsequente Lügner beim Wort genommen, nichts weiter. Da der deutsche Endsieg feststehe, müßten deutsche Filme hergestellt werden. Es sei ein Teilbeweis für die unerschütterliche Zuversicht der obersten Führung. Und weil das Produktionsrisiko in den Filmateliers bei Berlin täglich wachse, müsse man Stoffe mit Außenaufnahmen bevorzugen. Was wäre den Mandarinen im Propagandaministerium anderes übriggeblieben, als energisch einzuwilligen. Wer A sage, müsse auch B sagen. Mit diesem alten Kniff hätten die kleinen Auguren die großen überlistet.“ Alle Mitarbeiter von „Das Leben geht weiter“ sind durch diesen Schachzug Liebeneiners vor den Bombenteppichen der alliierten Luftwaffe geschützt. Nach der Kapitulation setzen fast alle Beteiligten Karrieren beim Film und Fernsehen, im Rundfunk und Theater fort. Die Filmrollen verschwinden einfach im Staub und Schutt der Geschichte.

Die Qualität eines Buches liegt in den Details und ist eine Frage des Stils. Hans-Christoph Blumenberg hat seine Rekonstruktion des letzen Films des Dritten Reichs mit Sorgfalt und Eloquenz geschrieben.

Hans-Christoph Blumenberg: „Das Leben geht weiter“. Der letzte Film des Dritten Reiches. Rowohlt Berlin 1993, 223 Seiten