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Traditioneller Unfall in Sellafield

Diesmal ist angeblich nur Stickstoffoxid ausgetreten / Arbeiter evakuiert / Regierung entscheidet im Oktober über Inbetriebnahme / Auch wirtschaftliche Bedenken  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die gigantische Plutoniumschleuder Thorp auf dem Gelände der Atomfabrik Sellafield im Nordosten Englands hat schon vor Inbetriebnahme den ersten Unfall zu verzeichnen. Am Dienstag abend mußten 280 Arbeiter evakuiert werden, nachdem bei einem Probelauf Stickstoffoxid ausgetreten war. 15 Arbeiter wurden „vorsorglich wegen leichter Halsschmerzen“ ärztlich behandelt, sagte ein Sprecher der Betreiberfirma British Nuclear Fuels (BNFL). Freilich bestehe auch diesmal – wie bei den Hunderten Sellafield-Unfällen zuvor – kein Grund zur Sorge, versicherte er: „Wir haben das Lüftungssystem in der Anlage getestet. Das ist ein chemischer Test, der nichts mit Radioaktivität zu tun hat.“

Seit vergangenem Donnerstag läuft in der Thermaloxid-Wiederaufbereitungsanlage auch der Probebetrieb mit Uran, nachdem ein britisches Gericht die Greenpeace- Klage zurückgewiesen hatte. Die Umweltorganisation hatte versucht, den radioaktiven Probelauf zu verhindern, da die britische Regierung erst nach öffentlichen Anhörungen am 4. Oktober entscheiden will, ob die Anlage überhaupt in Betrieb geht. Die Zweifel beruhen allerdings nicht auf plötzlich erwachtem Umweltbewußtsein, sondern haben wirtschaftliche Gründe. Zwar hat der Bau der Anlage 1,85 Milliarden Pfund (knapp 4,5 Milliarden Mark) gekostet, doch die Betriebsverluste würden ein Vielfaches dessen betragen. BNFL hat sich nämlich verkalkuliert: Der Uranpreis ist keineswegs gestiegen, wie die Firma vor 15 Jahren prophezeit hat, sondern auf ein Sechstel des damaligen Niveaus gefallen. Und das bei der Wiederaufbereitung anfallende Plutonium ist längst zum Alptraum geworden. Darüber hinaus überlegen die beiden wichtigsten ausländischen Auftraggeber, Japan und Deutschland, ob es nicht billiger wäre, die bereits mit BNFL abgeschlossenen Verträge platzen zu lassen und die Konventionalstrafe zu zahlen.

Simon Boxer, der Sprecher von Greenpeace, sagte gestern, der Unfall zeige, warum Thorp „niemals in Betrieb gehen darf“. Und ein Staatssekretär im Dubliner Energieministerium meinte, das Leck unterstreiche die Bedenken der irischen Regierung gegen die gesamte Sellafield-Atomfabrik. Trevor Sargent, der einzige Abgeordnete der irischen Grünen, betonte jedoch, daß die Dubliner Regierung rechtliche Schritte gegen die Plutoniumschleuder einleiten sollte, wenn sie wirklich darüber besorgt sei.

Britische Regierungsbeamte haben angedeutet, daß in der Tory- Regierung eine knappe Mehrheit für die Thorp-Inbetriebnahme sei, um das Gesicht zu wahren. Das war ihnen allerdings schon immer wichtiger als irgendwelche Maßnahmen gegen die radioaktive Verseuchung der Umwelt, die sich durch Thorp nach unabhängigen Berechnungen verzehnfachen würde. Die Grünen im Europaparlament wollen nächste Woche einen Dringlichkeitsantrag gegen die Inbetriebnahme stellen.

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