: Schweigefunker, Kompromate, Doppelzüngler
■ Die Gauck-Behörde gibt ein umfangreiches Wörterbuch und eine Organisationsstruktur des früheren Mielke-Ministeriums heraus
Berlin (taz) – Sie haben noch nie von einem Doppelzüngler gehört? Macht nichts. Der Doppelzüngler, das ist nur eine der ausgefallenen sprachlichen Kreationen, die das untergegangene Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in die Welt setzte. Im besten Amtsdeutsch (Ost) war damit definiert: „Eine unehrliche Person, die gegenüber zwei oder mehreren anderen Personen über ein und denselben Sachverhalt unterschiedliche Meinungen äußert. Verfolgt damit meist das Ziel, persönliche Vorteile in ihrer beruflichen oder gesellschaftlichen Entwicklung zu erlangen...“ Ein Opportunist also. Doppelzüngler galten als gefährlich, „da sie z. B. durch erfundene oder falsche Beschuldigungen die operative Arbeit desorientieren und andere Bürger in Mißkredit bringen können“.
Die Wortschöpfung ist eine von rund 900 Definitionen, die ein Stasi-Autorenkollektiv an der MfS-eigenen juristischen Hochschule streng geheim austüftelte. Heraus kamen 535 Seiten unter dem Titel „Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit“, die ministeriumsintern den Sprachgebrauch normierten: Von „Abschöpfung“ bis „Zwangsmaßnahme“ blieb nichts dem Zufall überlassen. Gestern wurde das Machwerk von der Abteilung „Bildung und Forschung“ (BuF) in der Gauck-Behörde vorgestellt, zusammen mit einer detaillierten Organisationsstruktur des MfS. Für BuF-Leiter Henke war das Werk, das 1970 erarbeitet und 1981 wie 1985 aktualisiert wurde, ein „wichtiger Schlüssel zur Gedankenwelt der Staatssicherheit“ – die Anstrengung der Begriffe belege, daß es dem MfS „an Unrechtsbewußtsein nicht gefehlt“ habe.
Wort für Wort reiht das Buch Komik und Entsetzten aneinander. Ein „Kompromat“ ist ein „Sachverhalt aus dem Leben einer Person, der im Widerspruch zu gesellschaftlichen Normen und Anschauungen steht“ und mit dem die Menschen zur Zusammenarbeit mit dem MfS „gewonnen“ werden konnten. Auch vor Düften machte das MfS nicht halt. Hinter „Geruchsdifferenzierung“ verbirgt sich eine Geruchskartei, die man sich vorstellen muß wie einen Kellerraum voller Einweckgläser. In „Geruchskonserven“ wurden „die für die Differenzierung benötigten Vergleichsmaterialien entweder direkt von Körperteilen der Personen entnommen oder konspirativ an den von ihnen getragenen Bekleidungsgegenständen oder berührten Gegenständen“ gesichert. Das Verfahren: „Die G. führen ausgebildete Hundeführer (Differenzierungshundeführer) mit abgerichteten Hunden (Differenzierungshunde) durch.“
„Schweigefunker“ waren „von imperialistischen Geheimdiensten geworbene, ausgebildete und mit entsprechenden Hilfsmitteln ausgerüstete Agenten in Zielländern subversiver Angriffe, die erst im Krisen- oder Kriegsfall entsprechend vorher getroffenen Vereinbarungen aktiviert werden“. Das Werk gibt's bei der Gauck-Behörde. Wolfgang Gast
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