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Verantwortung ist für uns alle da

■ Bei der Generaldebatte zum Haushalt 1994 forderte Kohl die SPD zur Zusammenarbeit auf

Bonn (taz) – Mit der Generaldebatte des Bundestags über den Kanzlerhaushalt läuteten Regierungs- und Oppositionsparteien gestern das Wahljahr ein. Doch die Koalitionsparteien und die SPD beließen es nicht bei verbalen Zusammenstößen, sondern tauschten auch Angebote zur Zusammenarbeit aus. Vor allem Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), so der gelegentliche Eindruck, kennt keine Parteien mehr, sondern nur noch Verantwortung: zum Gespräch über die Zukunft sind alle eingeladen. Die sozialdemokratische Opposition legte indessen Wert auf die Feststellung, daß die Bundesregierung nach elfjähriger Regierungszeit auch Verantwortung für den Zustand des Landes trägt.

Als ersten Redner präsentierte die Opposition, abweichend von der Tradition, nicht ihren Fraktionschef, sondern den neuen Parteivorsitzenden Rudolf Scharping, der zum ersten Mal in dieser Funktion vor dem Parlament auftrat: „Diese Bundesregierung mutet unserem Volk immer mehr zu. Dieses Volk traut der Bundesregierung immer weniger zu.“

Scharping beklagte den Vertrauensverlust als den „eigentlichen politischen Mangel in Deutschland“. Er attackierte die Bundesregierung vor allem wegen ihres Versagens vor den sozialen Fragen und nannte als Beispiele für die „kalte Technokratie“ den Umgang mit der Pflegeversicherung, mit Renten und Arbeitslosigkeit. Das Standortpapier sei eine Bilanz großer Fehler und werfe vor allem eine Frage auf: „Wer hat denn da elf Jahre regiert?“ Ausdrücklich als „Paket“ bot Scharping sozialdemokratische Verhandlungsbereitschaft zum Thema Innere Sicherheit an. Dabei könne es nicht nur um den Lauschangriff, sondern auch um Geldwäsche, höhere Schwellen für Telefonüberwachung und strenge Kontrollen gehen.

Die Passagen, die der Kanzlerherausforderer der deutschen Außenpolitik widmete, fanden beim gegenwärtigen Inhaber dieses Amtes ein vernichtendes Urteil. Der ansonsten milde Kanzler wies auf die Regierungsbank: „Wenn Sie wirklich auf diesem Platz sitzen wollen, dann können Sie solche Positionen nicht vertreten.“ Scharping hatte sich streng an der Blauhelm-Beschlußlage seiner Partei orientiert, was Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble dazu provozierte, aus dem Nähkästchen zu plaudern: Scharping habe doch im Vier-Augen-Gespräch mit dem Kanzler gesagt, er sei in dieser Frage mit SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose einer Meinung, der eine weitergehende Verfassungsänderung will. Als „unanständig“ kommentierte später Scharping die Neigung, über vertrauliche Gespräche öffentlich „und dann auch noch falsch“ zu reden. Von hoher Warte – kurzen Berichten der Debatten aus den USA, aus Japan und diversen westeuropäischen Ländern – holte Helmut Kohl zu seinem Thema aus: Auch ohne die deutsche Einheit stünden die Zukunftsfragen des Standorts Deutschland an. „Wie stehen wir zu unserem Staat? Ist das wirklich unser Staat?“ Demographische Entwicklung, zuviel Bürokratie und Regelungsdichte, zuviel Verkrustungen – der Kanzler lud alle „zu einem ruhigen Gespräch“.

Für Fraktionschef Klose stand der Kanzler in dieser Pose zu sehr über den Dingen: „Immer wenn es brenzlig wird, wenn er von seiner Verantwortung reden müßte, dann redet er von Gemeinsamkeit. Diese Aufgabenverteilung haben wir nicht so gern.“ tib Seite 2 und Kommentar Seite 10

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