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Chaos in der Unternehmensspitze

■ Programmiertes Chaos als Unternehmenspolitik / Eine Einweisung für Mittelständler

Herrn Heinrichwark wurde es etwas mulmig zumute, was ihn nervös an seinem Krawattenknoten fummeln ließ. Wie er wurden rund 40 mittelständische UnternehmerInnen gerade Ohrenzeugen unglaublicher Behauptungen. Subversive Gruppen sollten sie in ihren Betrieben nicht bekämpfen, sondern fördern, ein verantwortlicher Unternehmer sorge für „kreative Instabilität“ in seinem Haus, zu einem Zeitpunkt, wo es ihm bestens geht. Und: Chaos ist Ordnung!

Dr. Peter Kruse war der Mann, der diese Sätze gestern beim Mittelstandsforum im Bremer Congress-Centrum verbreitete. Zunächst duckten sich die ZuhörerInnen unter seinen Worten wie unter Peitschenhieben, etwas später erlagen sie dem Bann der Chaosforschung. Kruse arbeitet beim Institut für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen und referierte über „Erkenntnisse der Chaosforschung für die Unternehmensführung“.

Erst kam der Feldzug gegen die Grundängste: Chaostheorie müsse man nicht als Revolution, sondern als ergänzende Systemperspektive verstehen. Sie räume zwar mit Alltagsgewohnheiten auf, aber „es müssen keine Köpfe rollen“.

Ein Unternehmen ist ein System, lernten die Manager, und wenn das System zu starr ist, kann es nicht auf alle Situationen reagieren. Die Unternehmer sollten sich bei „instabilen Situationen komplexer Systeme“ der Selbstorganisation ihres Systems Unternehmen bedienen. Systeme haben nämlich ihre eigene Ordnung, die durch ein paar feste Regeln und dem Zufall als Variabler entstehe. Wünschenswert sei sogar, daß Unternehmen gelegentlich bewußt in einen Zustand der Instabilität zu lenken. Damit werde Kreativität freigesetzt, die wiederun eine neue Ordnung schaffen könne. Instabilität dürfe aber kein Dauerzustand werden, mahnte Kruse: „Das erträgt der Mensch nicht auf Dauer, deshalb kann das System in seiner Existenz gefährdet werden.“

Zur Demonstration zauberte Kruse mit einer Computermaus ein paar Chaossysteme an die Wand, was die Unternehmer durchaus auch überzeugte. Weniger überzeugend fanden sie dann aber die Ableitungen, die sie zum Mit-nach-Hause-nehmen an die Hand bekamen. Zehn Regeln, in denen er „Management als Dienstleistung“ für ein Unternehmen forderte, den Abbau von Hierachien, die Transparenz von Informationen für alle Mitarbeiter, die Förderung von Gemeinschaftsverantwortung und Motivation.

Wie man denn als Unternehmer erkenne, wann sein System die nötige Instabilität brauche, in welchem Maße und wie lange, wollte ein Zuhörer wissen? Da lächelte der Chaosforscher: „Zu jeder Frage kann der Wissenschaftler ein Ja und ein Nein geben, und so ist es auch hier.“ mad

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