: Klavier bei Fuß
Ein Film über den NS-Hofkomponisten Norbert Schultze ■ Von Bernd Imgrund
„Ich war froh, daß ich Arier war, ich hätte ja auch Jude sein können. Dann hätte ich ja Pech gehabt.“ Lapidar und unverfroren blickt Norbert Schultze, Hofkomponist der Nazis und bis in die späten sechziger Jahre hinein für die musikalische Untermalung des deutschen Heimatfilms von Albers bis Schell verantwortlich, auf sein Leben zurück. Natürlich habe er sich instrumentalisieren lassen, aber ein Nazi, nein, sei er nie gewesen.
Wieder einmal muß eine verquere Ästhetik herhalten, um das Blinde-Kuh-Spiel im Unrechtsregime zu legitimieren. Das „sittliche Gefühl, um überhaupt kämpfen zu können“, habe er vermitteln, den Soldaten ein bißchen Ablenkung, ein Fetzchen Heimat in den Schützengraben schicken wollen. Wenn Radio Belgrad allabendlich um zehn seinen Gassenhauer von Lili Marleens exhibitionistischem Laternenflirt brachte, hätten für kurze Zeit auf allen Seiten die Waffen geschwiegen. Den Stolz auf seine Karriere hat sich Schultze bis heute nicht nehmen lassen, wenn er auch nicht verschweigt, daß erst die schon sehr früh einsetzende Vertreibung der Juden aus der ersten Etage der Kulturschaffenden die Tür zum Ruhm so richtig aufstieß.
Mit der Oper „Schwarzer Peter“ (vom ZDF 1967 verfilmt) feierte der heute 82jährige seinen ersten großen Erfolg. Als Göring ein filmisches Heldenepos zur glorreichen Zerbombung Warschaus durch die von ihm aufgebaute Luftwaffe drehen ließ, stand Schultze Klavier bei Fuß. Die nichtöffentliche Premiere von „Feuertaufe“ geriet für den naiven Schöngeist allerdings zum Desaster: Die Bilder der völlig zerstörten polnischen Hauptstadt hatten ihm einen ganshäutigen Trauermarsch abgerungen, mit dem die anwesenden Offiziere nun gar nichts anfangen konnten. Stabschef Bertram rettete die Vorführung, indem er einen Text anfügte, der dem englischen „Kriegstreiber“ Chamberlain die Schuld am Polenüberfall zuschob. Schließlich war auch der Führer begeistert, der Dokumentarstreifen ging mit siebzig Kopien in die Kinos, und Norbert Schultze hatte den nächsten Auftrag in der Tasche.
England war in den ersten Kriegsjahren der erklärte Hauptfeind des Reiches, und Hitler wollte den Film „Kampfgeschwader Lützow“ (1941) abgerundet wissen mit einem entsprechenden Smash-Hit. „Bomben auf Engeland“ war geboren, eine Komposition, die wie viele danach Schultzes Talent unterstreicht, sich stets als der richtige Mann am richtigen Platz zu präsentieren. Dem Text um sich vor Sehnsucht verzehrende Mädels, um unausweichliche Befehle und Heimweh an der Front ist eine eingängige, fröhlich über die Tasten hüpfende Volksliedmelodie unterlegt, die Message wird im Viervierteltakt wie nebenher transportiert.
Schultze hat die Texte stets vorher gekannt, zum Teil selbst an ihnen mitgeschrieben. Alle seine Kompositionen, ob das „U-Boot- Lied“ oder der Marsch zum Überfall auf Rußland „Vorwärts nach Osten“, kommen ähnlich harmlos daher wie sein Hans-Albers- Shanty „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“. Sogar 1944, als im einzigen erhaltenen Filmstudio in Prag der Durchhalteschinken „Kolberg“ abgedreht wurde, gelingt ihm kein selbstkritischer Gedanke. Als „Tanz auf dem Vulkan“ habe er diese Zeit, den U.K.- Stempel (für: unabkömmlich) als Adelstitel empfunden.
Schultzes politischer Horizont korreliert mit der Schlichtheit seiner Liedchen, und so nimmt man ihm auch ab, daß er sich an seinen bereits 1933 erfolgten Eintritt in den „Kampfbund für Deutsche Kultur“ nicht mehr erinnere und ihm der Eintritt in die NSDAP aufgezwungen worden sei. Diese Schlichtheit, verbunden mit seinem musikalischen Talent, sorgten auch nach dem Krieg für Schultzes problemlose Entnazifizierung. Als Komponist der Lili Marleen weltberühmt und bei den amerikanischen Besatzern beliebt, verkehrte er bald in allen Berliner Clubs, auch die ersten Filmaufträge ließen nicht lange auf sich warten.
Auf den Anklagestuhl setzen ihn nun Arpad Bondy und Margit Knapp in ihrem Dokumentarfilm „Den Teufel am Hintern geküßt“. Ein einzelner Schemel vor einer weißen Wand, die Kamera frontal auf den locker parlierenden alten Mann gerichtet, werden Schultzes Erinnerungen zerschnitten, entscheidende Sentenzen wiederholt und das Leinwandbild zuweilen aus dem Kino-Off sich selbst überlassen. Wenn auch ständige Bildwechsel zur Tastatur, zum Drehbuch oder Schneidetisch den dokumentatorischen Charakter zuweilen überbetonen, verdient diese Anhörung des Norbert Schultze doch das ihr verliehene Prädikat „besonders wertvoll“.
Arpad Bondy/Margit Knapp: „Den Teufel am Hintern geküßt. Der erstaunliche Werdegang des Lili-Marleen-Komponisten Norbert Schultze“, Deutschland 1993
Täglich um 20 Uhr in der Filmbühne am Steinplatz.
Heute findet im Anschluß an den Film eine Publikumsdiskussion mit den FilmemacherInnen und Gästen statt.
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