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Keinen Grund mehr zu spuken?

■ betr.: „Wo bleibt die RAF-Initi ative?“, taz vom 3.9.93

Aufgeblasenes und selbstgerchtes Liberalala hat zu- und bis auf die Kommentarseite der taz durchgeschlagen.

Horst Meier's Artikel ist im wahrsten Sinne des Wortes infam. Der traurige — wenn es beliebt, eben nicht rote, sondern vielleicht gelb-blaue-Faden, der sich hindurchzieht, ist der Tenor der Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt und deren Definition („vollautonome Stammtische“ als Parallele zu den nationalistischen Stammtischen, die Punkte für die verbrannten AusländerInnen zollen), dem penetranten Verkennen der Ziele der RAF sowie der Gleichsetzung der Möglichkeiten von Staat und Guerilla.

Der Tod von Wolfgang Grams mobilisierte nicht nur Mitleid, sondern auch Wut auf und Angst vor einem Staat, dessen „Sicherheitskräfte“, von höchsten politischen und juristischen Stellen gedeckt, Menschen vermutlich hinrichten können und die von ihrer Seite stets diabolisierte Gewalt selbst — gegen die RAF — einsetzen, dies als notwendige Sicherheitsmaßnahme kaschieren und immer noch das Pokerface der „Guten“ aufbehalten, auch wenn ihnen das durch den Bad Kleinen-Skandal zum Teil heruntergerissen werden konnte.

„Mut und Perspektive“ fehlen vielleicht Horst Meier, sollte er zu den mittlerweile pseudoliberalisierten Linken gehören — aber daß Menschen, die gewissermaßen eine Grenze überschreiten, die nur in eine Richtung zu übertreten ist, die Perspektive fehlt, ist eine unglaubwürdige Unterstellung. Die Perspektive einer anderen Gesellschaft fehlt selbst und gerade in dieser Gesellschaft nicht, auch wenn viele Menschen und -gruppen ein Interesse daran haben, die Linke und ihre Utopie totzureden oder im mediokratischen Kapitalmeer zu ertränken.

Ebenso verhält es sich mit dem zwar malerischen, aber grundfalschen Bild des Gespenstes, das angeblich keinen Grund mehr habe, zu spuken. Meier hat offensichtlich viel zum Thema RAF gelesen, bevor er sich an diesen furchtbaren Artikel begeben hat. Dann wird er wohl zwangsläufig auch etwas über die Ziele und Hintergründe der RAF gelesen haben — hat er sie überlesen oder hat er sie nicht verstanden? Keinen Grund mehr zu spuken? In einer Gesellschaft, die tendenziell immer mediokratischer (vgl. Anti-Springer-Kampagne), immer kapitalistischer, immer ausbeuterischer wird? In einer (deutschen) Gesellschaft, die viel von einer gerechten und ökologischen Weltwirtschaftsordnung schwafelt, aber gleichzeitig kräftig am Auf- und Ausbau der Festung Europa und einer militanten und aggressiven „1.“ Welt allgemein mitarbeitet? Keinen Grund mehr zu kämpfen für eine andere als die herrschende Ordnung? In welchem systemliebenden Ideologiekonstrukt hat sich da Meier wohl verfangen?

Aus der RAF-Erklärung vom April 1992, die Meier auf das überheblichste und ironischste als „rührende Widerstandsprosa“ verunglimpft, herauszulesen, daß der RAF der Sinn abhanden gekommen wäre, ist seinerseits Unsinn. Meier verrät sich dann auch einige Absätze weiter, wenn er schreibt, daß längst Attentäter ganz anderen Kalibers die RAF in den Schatten gestellt haben. Nicht nämlich, daß der Sinn abhanden gekommen wäre, gegen eine leistungs- und geldmachtorientierte Gesellschaftsform zu kämpfen — der war nicht, ist nicht und wird wohl leider auch nicht so bald abhanden kommen. Sondern die Erkenntnis, daß das Mittel der direkten Gewalt gegen Menschen in einer gewalttätigen Gesellschaft, in der sich RassistInnen und FaschistInnen Brandsätze und ähnlichem bedienen, nicht mehr geeignet ist, den Kampf fortzuführen, war das Motiv der RAF, den bewaffneten Kampf gegen Menschen zunächst auszusetzen. Daß sich hierbei die als vom Juristenautor als „bewaffnete Maulhelden“ diffamierten Menschen als — zumindest gegen Menschen — unbewaffnete potentielle Diskussionspartner offenbaren, paßt nicht in Meiers „Phantasma-“ Konzept.

Was den Grundgedanken Meiers angeht, BKA, Kanther, GSG 9 etc. in eine Sinnkrise zu stürzen: Zunächst eine nette Idee, aber ich frage mich, woher Meier den Glauben nimmt, daß der Staat dann wieder Grund- und Menschenrechte, die er vorgeblich wegen der RAF eingeschnitten und eingeschränkt hat, wieder freigibt. Phantasmagorie. Wenn schon pseudowitzig, dann vielleicht so: Soll sich doch lieber der Staat auflösen und die RAF in eine Sinnkrise stürzen. Sebastian Lovens, Wuppertal

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