: Rabin und Arafat im gleichen Boot
■ Letzte Hindernisse für gegenseitige Anerkennung in Telefongesprächen beseitigt
Berlin (taz) – „Ich bin mit einem Olivenzweig und dem Gewehr eines Freiheitskämpfers gekommen. Lassen Sie den Olivenzweig nicht aus meiner Hand fallen!“ Es war im Jahr 1974, als Jassir Arafat, der Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York diese Worte aussprach. Doch auch in den nächsten beiden Dekaden sollte das Gewehr die Politik im Nahen Osten bestimmen. Heute, mit der gegenseitigen Anerkennung Israels und der PLO, gibt es erstmals seit der Gründung des jüdischen Staates im Jahre 1948 die Chance, daß es der Olivenzweig ist, der das künftige Geschehen in der Region symbolisiert. Nach Jahrzehnten der Gewalt, fünf regulären Kriegen und einem wechselseitigem Absprechen jedweden Existenzrechts als Grundlage der Politik ist damit ein erster, wirklicher Durchbruch im nahöstlichen Friedensprozeß gelungen.
Begonnen hatte er mit der Konferenz von Madrid im Herbst 1991, mehr auf äußeren Druck hin denn aus innerer Überzeugung der Beteiligten. Und möglich war er geworden durch das Ende des Kalten Krieges, der alte Allianzen hinfällig machte. Als die neuen Partner in der Weltpolitik, US-Präsident George Bush und der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, sich dann im Herbst 1990 auf dem Höhepunkt der Golfkrise auf eine nahöstliche Friedensinitiative nach dem Ende des Krieges gegen den Irak einigten, war der erste Grundstein für Madrid gelegt. Denn ungeachtet aller Anstrengungen Israels, das „palästinensische Problem“ irgendwie als politisches Thema zum Verschwinden zu bringen – darunter auch die Militärinvasion im Libanon 1982 und die anschließende Zerstreuung der PLO in alle Winde –, machte gerade dieses Problem den Kern des Konflikts zwischen den Staaten des Nahen Ostens aus. Wer also ein friedliches Zuammenleben der Staaten und Völker in der Region herbeiführen wollte, mußte auch das Anliegen der Palästinenser ernst nehmen.
Es war die Intifada, der Aufstand in der Westbank und dem Gaza-Streifen, der dieses Anliegen im Dezember 1987 über Nacht wieder zum Gegenstand von Schlagzeilen machte: das Ende der israelischen Besatzung, die Anerkennung der PLO als Führerin des palästinensischen Volkes und die Gründung eines unabhängigen Staates Palästina. Er wurde im November 1988 auf der Sitzung des Exilparlamentes der PLO in Algier schon einmal formell ausgerufen. Kein Wunder also, daß viele Palästinenser mit Bitterkeit registieren, für wieviel sie jahrelang gekämpft haben und wie wenig sie mit dem Abkommen über eine Teilautonomie für Gaza und Jericho nun erhalten.
Doch für beide, Jassir Arafat wie Jitzhak Rabin, drängte die Zeit. Rabin brauchte dringend einen Erfolg, wenn er seinen innenpolitischen Kurs fortsetzen wollte, und der PLO-Chef, der gerne über ein Stück reales Palästina herrschen möchte, sah sich nach dem fatalen Schulterschluß mit Saddam Hussein im Golfkrieg als Vorsitzender einer Organisation, die in einer schweren Finanzkrise steckte und deren politischer Einfluß immer mehr abzunehmen drohte.
Und noch etwas eint Rabin und Arafat: ihr Interesse, radikale islamistische Kräfte abzuwehren – sei es in den besetzten Gebieten, sei es in den Nachbarstaaten. In israelischen Regierungsstuben weiß man sich da auch mit den Herrschern der arabischen Länder einig und sieht diese gar als Pufferstaaten gegenüber iranischem Einfluß.
Die nun erfolgte gegenseitige Anerkennung Israels und der PLO, im Ausland von vielen als längst überfällig angesehen, ist in der Region selbst zunächst auf ein ausgesprochen zurückhaltendes Echo gestoßen. Doch da jahrzehntelang das Gewehr die Politik bestimmt hatte, kann das kaum überraschen. Oder, um mit Elie Wiesel zu reden: „Könnten wir doch Frieden feiern, wie so viele unserer Vorfahren Krieg gefeiert haben ...“ Beate Seel
Der Text des Autonomie-
abkommens Seite 2
Reaktionen aus Israel
und aller Welt Seite 2
Reportagen aus West-
und Ost-Jerusalem Seite 3
Debatte in der PLO Seite 4
Führte der Mossad Regie? Seite 4
Eine Chronik des Nahost-
konflikts von 1882 bis 1993 Seiten 4 und 5
Ein Hamas-Mitglied zum
Autonomieabkommen Seite 5
Die Reaktion der ara-
bischen Nachbarstaaten Seite 5
Der Palästinenser Edward Said über Arafats Egomanie Seite 12
Kommentar: Das Ende
des Ghettos Seite 12
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