■ Droht ein neuer serbisch-kroatischer Krieg in Kroatien?: Extrem angespannt
Die Luna-Rakete, die in einem Vorort Zagrebs große Zerstörungen anrichtete, könnte eine neue Runde im serbisch-kroatischen Krieg einläuten. Vieles spricht sogar dafür, daß es zur Wiederaufnahme von Kampfhandlungen kommt. Denn seit März 1992, als der Vance-Plan für Kroatien in Kraft trat, hat sich die Lage dort nicht entspannt. Keine der damals akzeptierten Forderungen Kroatiens wurde umgesetzt. So sind die Freischärler in den von Serben besetzten Gebieten Kroatiens keineswegs entwaffnet, die UNO hat weder die schweren Waffen der Serben unter Kontrolle genommen, noch hat sie die vereinbarte Grenzsicherung Kroatiens durch kroatische Truppen durchsetzen können. An eine Rückkehr der Vertriebenen kann nicht einmal gedacht werden.
Je länger der jetzige Zustand aber andauert, desto unerträglicher wird die Lage für die kroatische Bevölkerung: die ständigen Artillerieangriffe der serbischen Seite auf die Küstenstädte Zadar, Sibenik und Biograd versetzen nicht nur die Bevölkerung in Angst und Schrecken, sie gefährden die Verkehrsverbindungen, sie verhindern die Normalisierung des Wirtschaftslebens, sie bedrohen den für Kroatien lebenswichtigen Tourismus. Daß daher der Wunsch, die besetzten Gebiete auch mit militärischer Gewalt zurückzuerobern, in Kroatien wächst, ist kaum verwunderlich. Und da am Ende des Monats das UNO-Mandat in den besetzten Gebieten offenbar endgültig ausläuft, mehren sich die Zeichen für Vorbereitungen zu einer militärischen Gegenoffensive der Kroaten.
Wahrscheinlich passen die serbischen Gegenschläge sogar ins Konzept der kroatischen Generalität. Zeigen sie doch der internationalen Öffentlichkeit, daß der Gegner trotz UNO-Präsenz sogar mit Kurzstreckenraketen bewaffnet ist. Die serbische Seite wiederum will damit beweisen, daß ein weiterer Waffengang weitreichende Folgen für die kroatischen Städte, auch für die Hauptstadt Zagreb hätte und daß es keinen Ort in Kroatien gibt, der nicht getroffen werden kann. Das Nervenspiel hilft beiden Seiten bei dem Test, zu welchen Reaktionen Europa und die USA noch in der Lage sind. Dabei kommt den Serben in der Krajina und den anderen besetzten Gebieten in Kroatien zugute, daß mit dem von Mate Boban in Bosnien-Herzegowina entfesselten Krieg gegen die bosnische Armee die Sympathien für Kroatien weltweit gesunken sind. Und diese Angriffe wiederum machen es der UNO leichter, sich aus der Verantwortung für die unerträglichen Zustände in den besetzten Gebieten Kroatiens zu stehlen. Erich Rathfelder
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