: Ausländer unerwünscht
Autoversicherungen umgehen Versicherungspflicht ■ Von S. am Orde
Berlin (taz) – „Die Autoversicherungen versichern Ausländer oftmals einfach nicht, auch wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind.“ Michael Stein* weiß, wovon er spricht. Er hat in Berlin als Vertreter bei der R+V Versicherung gearbeitet. Die Ablehnung des drittgrößten deutschen Sachversicherungsunternehmen ist eindeutig: „Ausländische Nationalität“ gilt in den internen Annahmerichtlinien, die der taz vorliegen, als „unerwünschtes Risiko“. Weiter heißt es: „Für Risiken dieser Art besteht – soweit rechtlich zulässig – absolutes Zeichnungsverbot!“
Rechtlich zulässig ist dies bei der KFZ-Haftpflicht nicht. Nach dem Pflichtversicherungsgesetz gibt es ein verbrieftes Recht auf eine solche Versicherung, die Unternehmen müssen also versichern. „Doch manchmal tun sie es einfach nicht“, weiß Michael Stein. „Entweder die Vertreter sagen ganz offen, daß sie Ausländer nicht versichern, oder sie vergraulen sie durch wochenlange Prüfung.“ Denn das Gesetz bietet den Unternehmen eine 14tägige Prüfungszeit. Während Deutsche die Doppelkarte gleich bekommen, wird bei Einwanderern oft intensiv geprüft. Das bedeutet: keine vorläufige Schadensdeckung, keine Doppelkarte und damit keine Anmeldung des neuen Autos. Wer will damit schon zwei Wochen warten?
Grund für diese Praxis sei nicht die Bosheit einzelner Vertreter, sondern Anweisungen von oben. „Auf einer internen Schulung für Vertreter der R+V sind wir eindeutig darauf hingewiesen worden, daß es zu vermeiden ist, auch gesetzliche Haftpflicht mit Ausländern abzuschließen“, berichtet Michael Stein. Das heißt für die Vertreter: Für die Versicherung von „unerwünschten Risiken“ erhalten sie keine Provision. „Und im Wiederholungsfall werden sie zum Chef zitiert.“ In einer Berliner Agentur der R+V entdeckte Stein außerdem eine handschriftliche Anweisung, aus der hervorgeht, daß Neuanträge von Türken, Griechen, Jugoslawen und Italienern nicht übernommen werden.
Hat ein Einwanderer dennoch eine Autoversicherung bei der R+V, so fliegt er bei der ersten Gelegenheit raus. „Unerwünschte Risiken werden grundsätzlich nach dem ersten Schaden oder nach Zahlungsverzug gekündigt“, heißt es in den Annahmerichtlinien.
„Wir üben Zurückhaltung im Rahmen des gesetzlich möglichen“, sagt Jochen Lindorf, zuständiger Abteilungsleiter bei der Wiesbadener R+V-Zentrale zu den Vorwürfen. Darüber hinausgehende Anweisungen von einzelnen Seminarleitern oder Filialdirektionen könne er zwar nicht nicht ausschließen, „sie geschehen aber nicht mit Billigung der Direktion.“ Vertreter bekämen nur gekürzte Provision. Ausländer seien eben eine Risikogruppe mit schlechterem Schadensverlauf.
So argumentiert nicht nur die R+V. Auch die Dachorganisation der Autoversicherer, der HUK- Verband, weist den Vorwurf der Diskriminierung von sich und argumentiert betriebswirtschaftlich: „Ausländer haben einen bis zu 60 Prozent höheren Schadensdedarf als andere Autofahrer“, sagt Sprecher Uwe Schmidt-Kasparek.
Auch bei anderen Autoversicherungen haben Einwanderer Schwierigkeiten, und nicht nur mit der Haftpflicht. Kaskoversicherungen bekommen sie oftmals gar nicht, oder nur zu erhöhten Prämien. Außerdem fliegen sie oft auch nach jahrelanger Versicherung nach dem ersten Bagatellschaden raus. „Uns sind eine ganze Reihe solcher Fälle bekannt“, sagt Tom Robert, Sprecher des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen. Bei Schwierigkeiten, eine Haftpflichtversicherung zu bekommen, greift das Amt ein. Sonst bleibt es bei Appellen an die Unternehmen: „Wir wollen Versicherungsfragen konkret an der Sache festmachen, nicht an der Nationalität.“ Das Kriterium Staatsangehörigkeit kritisieren auch der Bund türkischer Einwanderer und die Antirassistische Initiative (ARI) in Berlin. „Wieso soll ein 21jähriger Mann türkischer Herkunft, der in Berlin geboren ist, eher einen Unfall bauen als ein 21jähriger Berliner, der deutsche Eltern hat?“ fragt ARI-Mitarbeiter Peter Finger.
Mit dem überdurchschnittlichen Schadensbedarf ausländischer Autofahrer hatten die Versicherungen Anfang der 80er Jahre bereits versucht, einen sogenannten „Balkan-Tarif“ einzuführen. Danach sollten Türken, Griechen und Jugoslawen einen um bis zu 50 Prozent erhöhten Beitrag zur KFZ-Haftpflichtversicherung zahlen. Das Bundesaufsichtsamt lehnte damals ab: Staatsangehörigkeit sei kein geeignetes Mittel für eine Tarifabgrenzung. Dem stimmte das Bundesverwaltungsgericht 1988 zu. Doch auch bei der Auto-Haftpflicht ist mit der Tarifkontrolle des Aufsichtsamtes bald Schluß. Durch den EG-Binnenmarkt besteht auch hier bald nur noch ein modifizierter Annahmezwang. Danach können die Versicherungen einen Antrag zwar ablehnen, müssen dem Kunden aber einen Alternativvorschlag unterbreiten. Der Haken daran: Dieser Antrag kann so unattraktiv sein, daß kein Einwanderer Interesse hat, ihn abzuschließen. „Dann wird es für Ausländer noch schwerer werden, Versicherungen zu vernünftigen Tarifen zu bekommen“, befürchtet Tom Robert.
Deshalb sei es um so wichtiger, daß Betroffene nicht individuelle Lösungen suchen, sondern die Diskriminierung öffentlich machen, meint ARI-Mitarbeiter Peter Finger. Sie sollen sich beim Bundesaufsichtsamt beschweren und bei Ausländerberatungsstellen oder Antirassistischen Telefonen melden. Wie der Bund türkischer Einwanderer fordert auch die ARI ein Antidiskriminierungsgesetz, das negative Sanktionen möglich macht. Außerdem sei die Solidarität der Deutschen gefragt, nur dort Versicherungen abzuschließen, die keine Ausländer ausgrenze.
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