Brundtland und EG-Gegner gewinnen

In Norwegen können die Sozialdemokraten wieder die Regierung bilden / Neue Minderheitenregierung geplant / EG-Gegner haben erstmals Sperrminorität im Storting  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Die Mehrheit der NorwegerInnen ist zwar gegen ihr wichtigstes politisches Projekt, die EG-Mitgliedschaft, aber wiedergewählt haben sie die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland trotzdem. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag und Montag errang ihre „Arbeiterpartei“ 37,2 Prozent der Stimmen – 3 Prozent mehr als vor vier Jahren und genug für eine neue Minderheitenregierung. Noch stärkere Zugewinne konnte die „Zentrumspartei“ verbuchen. Mit ihrem gegen eine EG-Mitgliedschaft gerichteten Wahlkampf verdreifachte die Partei, deren traditionelle Klientel Fischer und Kleinbauern sind, ihren Stimmenanteil auf 18,5 Prozent.

Alle anderen Altparteien – von der konservativen „Høre“ über die „Christliche Volkspartei“, die rechtspopulistische „Fortschrittspartei“ bis hin zur „Sozialistischen Linkspartei“ mußten teilweise empfindliche Einbußen einstecken. Auf Anhieb erfolgreich war dagegen die „Rote Wahlallianz“ (KP-m1), die erstmals kandidierte und gleich ein Prozent der Stimmen (ein Mandat) gewann.

„Nein zur EG, ja zu Gro“, titelte gestern die Osloer Zeitung Dagbladet das Ergebnis. Verdens Gang, die größte Zeitung des Landes, sah einen Triumph der EG- Gegner. Obwohl die Ministerpräsidentin und ihre konservative Gegenkandidatin versucht hatten, das Thema auszuklammern, hatte der Wahlkampf im Zeichen der von Norwegen beantragten EG-Mitgliedschaft gestanden. Als Votum gegen die EG wurde auch die geringe Wahlbeteiligung gewertet: Nur 75,5 Prozent NorwegerInnen gingen an die Urne.

Die EG-Diskussion spaltet das Land schon seit Jahrzehnten. Bereits 1972, als sich mit den Sozialdemokraten auch Gewerkschaften und Arbeitgeber geschlossen für einen EG-Beitritt aussprachen, entschied sich eine Mehrheit der NorwegerInnen in einem Referendum gegen den Beitritt.

Erstmals verfügen die EG-Gegner jetzt über mehr als ein Viertel der Sitze im Storting. Unabhängig von dem Ausgang des für kommendes Jahr geplanten neuen Referendums können sie mit dieser Sperrminorität einen EG-Beitritt zum Scheitern bringen.

Angesichts der starken Anti- EG-Stimmung im Land kam das gute Abschneiden der „Zentrumspartei“ nicht unerwartet. Der „Arbeiterpartei“, die sich mehrheitlich für eine EG-Mitgliedschaft ausspricht, kam bei den Wahlen zugute, daß es Norwegen wirtschaftlich relativ gut geht. Inflationsrate und Handelsdefizit zählen zu den niedrigsten in Europa. Außerdem machte sich der „Holst-Effekt“ als besonderer Bonus bezahlt. Außenminister Johan Jørgen Holst hatte bei der israelisch-palästinensischen Anerkennung eine zentrale Rolle gespielt. Bei der letzten Wahlkampfdiskussion im Fernsehen hatte Brundtland diese norwegische Vermittlung als „größten Triumph unserer außenpolitischen Geschichte“ bewertet.

Die Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums mußten eine empfindliche Niederlage einstecken. Die Kandidatin der „Høre“, Kaci Kullmann Five errang mit nur 17,5 Prozent (knapp 5 Prozent weniger als 1989) ein so schlechtes Ergebnis, daß bereits über ihre Nachfolge diskutiert wird. Die Partei verlor EG-skeptische-WählerInnen an die „Zentrumspartei“. Auch die unter Brundtland in die Mitte gerückte „Arbeiterpartei“ konnte offenbar konservative WählerInnen dazugewinnen. Die „Fortschrittspartei“ verlor beinahe die Hälfte ihrer WählerInnen und begann ebenfalls bereits eine Diskussion über eine Ablösung ihrer Spitze.

Trotz ihres guten Wahlergebnisses wird das Regieren für Brundtland nicht einfacher werden. Sie wird künftig – wie schon in der vergangenen Legislaturperiode – ihre Mehrheiten je nach Fall bei der „Sozialistischen Linkspartei“ (8 Prozent) oder bei der „Zentrumspartei“ holen müssen. Beide Parteien sind EG-Gegner. Und beide dürften sich durch eine Umfrage vom Wochenende gestärkt fühlen, wonach 58 Prozent der NorwegerInnen diese Position teilen. Noch nie seit 1972 war die Stimmung im Lande so brüsselfeindlich. Die Vorsitzende der „Zentrumspartei“, Anne Eger Lahnstein, kündigte bereits an, sie werde Brundtland in allen Fraugen außer der des EG-Beitritts unterstützen. Die Chancen für Brundtland, ihr wichtigstes politisches Ziel zu erreichen, stehen schlecht.