Der Rücktritt vom Rücktritt

■ Eduard Schewardnadse, Georgiens Präsident, warf alles hin und überlegte es sich wieder anders

Moskau (taz) – Mit den Worten: „Ich hab' das alles satt“, verließ Eduard Schewardnadse gestern mittag den Plenarsaal des Parlaments in Tbilissi und erklärte seinen Rücktritt. Am Abend hatte er es sich wieder anders überlegt. Sein Gesinnnungswechsel soll dem Drängen des georgischen Katholikos Patriarch Ilja II zu danken sein. Für 21.00 Uhr Ortszeit wurde eine Sitzung des Parlaments einberufen. Politische Beobachter zweifelten nicht daran, daß die Abgeordneten dabei den von Schewardnadse geforderten Ausnahmezustand für drei Monate beschließen. Dies war die Bedingung für die Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte durch Schewardnadse.

Der Führer Georgiens hatte den Ausnahmezustand am Abend vorher fast schon als vollendete Tatsache dargestellt und sah sich nun mit dem erbitterten Widerstand seines ehemaligen Mitkämpfers und Ex-Stellvertreters, des Führers der Reitertruppe Mchedrioni, Dschaba Iosselani, konfrontiert. Der warf ihm vor, er maße sich mehr Vollmachten an als Ex- Diktator Swiad Gamsachurdia und handele wie ein typischer KPdSU-Bonze. Schewardnadse strebte ein Verbot aller Meetings und politischen Versammlungen an. Parallel zur Bildung einer neuen georgischen Regierung hatte er am Wochenende einer Bürgerversammlung in der Tbilissier Philharmonie anvertraut, es sei nun besser, wenn die „Parlamentarier nach Hause gehen und sich dort um Georgiens Überleben kümmern“.

Schewardnadses kurzzeitiger Rücktritt erfolgte in einem Moment, in dem sich das georgische Staatsoberhaupt in einer innenpolitischen Sackgasse gefangen sah und um den Verlust seines in den letzten Jahren verdienten internationalen Rufes als Vertreter der Demokratie und Anwalt der Vernunft fürchten mußte. „Schlimmer, als es jetzt ist, kann es nicht mehr kommen“, verkündete Schewardnadse in seiner aufrüttelnden Ansprache vom Freitag abend. Gegen ihn stellten sich nun die gleichen Führer bewaffneter Formationen, die seinen Vorgänger, den nationalfaschistischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia, vertrieben hatten. Heute fürchten sie, im Zuge der von Schewardnadse geplanten Entwaffnung aller Räuberbanden, die Basis ihrer Macht zu verlieren. Gleichzeitig ist der letzte internationale Erfolg des ehemaligen UdSSR-Außenministers in Frage gestellt. Die Entwaffnung der Bürgerkriegstruppen in Abchasien stockt und damit auch die Unterzeichnung eines russisch-georgischen Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit, die Ende September schon so gut wie feststand. Die russischen Mitglieder der Dreiparteien-Kommission, die den Abzug der Waffen überwachen, haben die turnusmäßige Sitzung am Donnerstag boykottiert.

Dies war ihre Antwort auf die Gefangennahme der Mitglieder eines russischen Rettungskommandos durch georgische Freischärler nach einem Helikopter-Unglück. In einem Kommuniqué machten sie zudem georgische Verzögerungstaktik dafür verantwortlich, daß ein Teil der aus Abchasien abzutransportierenden Ausrüstung jetzt angeblich von Rebellen aus Westgeorgien konfisziert wurde.

Der Rücktritt Schewardnadses führte im Parlament in Tbilissi zu einem Schock bei den anwesenden Abgeordneten. In einer Abstimmung lehnten 149 von 150 Parlamentariern den Rücktritt ab. Doch Schewardnadse antwortete nur noch schriftlich. „Es ist zu spät. Ich habe mich entschieden.“ Am Nachmittag versammelten sich immer mehr Georgier vor dem Parlament und demonstrierten für Schewardnadse. Ausgangspunkt der Parlamentsdebatte war die Entscheidung Schewardnadses vom Wochenende, selbst den Posten des Innenministers zu übernehmen. Barbara Kerneck