: „So wichtig wie Wasser und Brot“
„Özgür Gündem“ berichtet täglich über den Krieg in Türkisch-Kurdistan / Der Preis: Neun ermordete Mitarbeiter / Heute beginnt ein Gerichtsverfahren, in dem die Zeitung verboten werden soll ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Im Istanbuler Stadtteil Kadirga, unweit der Touristenattraktion Hagia Sophia, ist der Sitz der Tageszeitung. An der Pforte verlangt der Portier den Personalausweis und stellt einen Besucherschein aus. Im ersten Stock betritt man ein modernes Großraumbüro, wo Redakteure an Computern Texte schreiben und redigieren; Aufmachung und Mobiliar sind in Euro- Norm gehalten – ein Medienbetrieb, der auch in London, Paris oder Berlin stehen könnte. Doch die Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Tagesordnung) ist nicht irgendein Medienbetrieb.
Überall in der Redaktion stößt man auf die Fotos von neun Männern. Die Zeitung ist keine zwei Jahre alt, und doch sind bereits neun Mitarbeiter ermordet worden. Die Beschäftigten der Zeitung wissen, wer die Mörder ihrer Kollegen sind: „die Counter-Guerilla, der türkische Geheimdienst, die Antiterror-Teams der Polizei, die Sondereinheiten der Armee“.
Dem politischen Regime in der Türkei ist die Tageszeitung Gündem ein Dorn im Auge. Im Nationalen Sicherheitsrat, dem der Staatspräsident, die Spitzen des türkischen Militärs und des Kabinetts angehören, ist immer wieder darüber diskutiert worden, wie man Gündem zum Schweigen bringt. Vom „Terroristenblatt“ war die Rede, vom „Sprachrohr der PKK“, der kurdischen Guerilla, die im Südosten des Landes einen bewaffneten Kampf gegen den Staat führt. Ermordete Mitarbeiter der Gündem wurden im nachhinein von türkischen Politikern zu Sympathisanten der „Terrororganisation PKK“ gestempelt.
Die Schuld der Gündem besteht darin, daß sie den schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan öffentlich macht. Sie berichtet, wenn kurdische Dörfer vom Militär bombardiert werden, wenn kurdische Bauern von Sondereinheiten der Armee mißhandelt und getötet werden. Sie berichtet über das Elend und die Folter. Und sie druckt nicht nur wie die anderen Medien die staatlichen Propagandaerklärungen, sondern auch die Stellungnahmen der PKK.
Nachrichtenchef Ahmet Akkaya war noch vor wenigen Tagen im Gefängnis. Er sollte am 26. Mai vor dem Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes in Istanbul aussagen. Gegen ihn wurde ein Prozeß wegen „separatistischer Propaganda“ angestrengt, worauf nach dem Antiterrorgesetz bis zu fünf Jahren Gefängnis stehen. Für Akkaya, der mit den Örtlichkeiten im Staatssicherheitsgericht sehr gut vertraut ist, eine Formalität. Er ging in dem Glauben zu Gericht, alsbald wieder in der Redaktion zu arbeiten. Doch einen Tag zuvor hatte die PKK türkische Soldaten in Bingöl überfallen. Politische Opfer waren nötig. Was lag näher, als einen Gündem-Redakteur zu bestrafen. Der Staatsanwalt verfügte Untersuchungshaft. Akkaya erinnert sich an den Dialog mit dem Staatsanwalt, nachdem die Untersuchungshaft verfügt wurde. „Der Staatsanwalt fragte mich, ob ich Türke oder Kurde sei. Ich antwortete ihm, daß ich Türke bin. Er schüttelte den Kopf. Er verstehe nicht, daß so viele türkische Intellektuelle heute den kurdischen Chauvinismus unterstützten.“
Für den türkischen Altlinken Akkaya war der Vorfall nichts Besonderes. Zweieinhalb Monate Untersuchungshaft, danach die Freilassung beim ersten Gerichtstermin. Der Prozeß wird sich lange hinziehen, bis er letztinstanzlich entschieden ist. „Für mich ist Gündem eine Zeitung, die unterdrückte Nachrichten druckt“, sagt Akkaya. Für viele kurdische LeserInnen ist es freilich mehr. „Ich glaube, daß sie in Gündem mehr als eine Zeitung sehen. Sie brauchen sie zum Leben, so wie man Wasser und Brot benötigt.“
Die Menschen, die Gündem wie „Wasser und Brot“ benötigen, sind es, die die Auflage stabil halten. Rund 45.000 ist die Auflage. 30.000 verkauft der Vertrieb in der Türkei, mehrere tausend werden im Handvertrieb verkauft, und rund 10.000 Exemplare der Zeitung werden in Europa gedruckt und vertrieben. Die Mehrheit der Gündem-Leser sind Kurden.
Anfangs verstanden die Zeitungsmacher nicht, warum am Wochenende regelmäßig die Auflage um mehrere tausend sinkt. Dann fanden sie die Erklärung. Viele kaufen Gündem an Werktagen auf dem Weg zur Arbeit, geschützt von der Anonymität der Großstadt. Der Kauf im eigenen Wohnviertel kostet Überwindung. Entlarvung als „Terrorist“ und Ausgrenzung drohen.
Nachrichtenchef Akkaya betreibt das Journalistengeschäft wie Kollegen in bürgerlichen Blättern, mit dem Unterschied, daß er ab und zu in den Knast kommt. Für die Korrespondenten der Zeitung in Türkisch-Kurdistan ist die Situation anders. Für sie, die das Rückgrat der Zeitung bilden, ist der Tod nichts Fernes, nichts Abstraktes. Während gemordet wird, versuchen sie zu berichten, selber dem Morden ausgesetzt.
In der Cafeteria treffe ich auf Bülent Ciftci, Korrespondent der Zeitung im kurdischen Van. Ciftci ist dem Tod entronnen. Im Laufe der letzten zwei Monate ist er sechsmal festgenommen worden. Mehrfach haben Antiterroreinheiten das Büro der Zeitung in Van gestürmt und die Lokalredaktion mitgenommen. Am schrecklichsten war es bei seiner letzten Festnahme. Abends stürmten Antiterroreinheiten der Polizei das Büro und nahmen ihn mit. Drei Tage lang wurde er im Keller des Polizeipräsidiums Van gefoltert. Mit sanfter Stimme berichtet Ciftci, wie er vom Nebenzimmer aus dem Gespräch seiner Folterer lauschte: „Exekutieren wir ihn. Ich nehme die Verantwortung auf mich.“ – „In diesem Fall ist es riskant. Wir haben ihn vom Büro mitgenommen. Sie wissen, daß wir ihn haben.“ Schließlich wurde unter der Folter ein Geständnis erpreßt, und Ciftci kam vor den Staatsanwalt in Van, der ihn auf freien Fuß setzte. Im Saal warteten die Zivilpolizisten von der Antiterrorabteilung. „Ich ficke diesen Staat“, sollen sie gerufen haben, als er als freier Mann das Zimmer des Staatsanwalts verließ, und: „Das nächste Mal morden wir dich, daß niemand es mitkriegt.“ So wie Ferhat Tepe, den Bitliser Korrespondenten von Gündem. Er wurde am 28. Juli entführt. Am 9. August wurde seine verstümmelte Leiche gefunden. Eine „Türkische Rache-Einheit“ bekannte sich am Telefon zur Entführung. Ferhat Tepes Vater machte am Telefon die Stimme des Brigadekommandanten in Tatvan, Korkmaz Tagma, aus.
Ciftci ist ein junger Kurde mit hellgrünen Augen, gerade 20 Jahre alt. Einst hat er im kurdischen Hakkari einen Lebensmittelladen betrieben. Seit Beginn der Gündem ist er dabei. Der 20jährige war es, der den 18 Jahre alten Ferhat Tepe in die journalistische Arbeit unterwies. „Eines Tages stand er vor der Tür und wollte für uns arbeiten. Ich war froh, weil wir in Bitlis niemanden hatten.“
Ciftci berichtet über all das, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Bald wird er zurück nach Kurdistan gehen. Doch vorher will er noch eine Fortsetzungsserie für Gündem schreiben, für die er lange recherchiert hat. In der rund dreitausend Einwohner zählenden Region Özalp haben sich in den vergangenen zwei Jahren 69 Frauen das Leben genommen. „Ich will darüber schreiben, wie der Kolonialismus und der Feudalismus Hand in Hand das Blut des kurdischen Volkes saugen.“
In das Zimmer der Redaktionsleitung, wo ich gerade mit einem Kolumnisten der Zeitung spreche, poltert ein vornehm angezogener Herr hinein. Wir stehen auf und reichen ihm die Hand. „Meine Herren, setzen Sie sich. Ich komme gerade vom Gericht. Ich bin wieder ein freier Mann.“ Gegen Yasar Kaya, den Eigentümer der Gündem, lag mehrere Tage ein Haftbefehl, der gerade aufgehoben wurde, vor.
Die Wirklichkeit karikiert den Wahn der politischen Justiz. Yasar Kaya, gleichzeitig Vorsitzender der kurdischen „Demokratischen Partei“ (DEP), war als Parteivorsitzender beim türkischen Staatspräsidenten Süleyman Demirel. Das erste Treffen des Staatspräsidenten mit Yasar Kaya löste einigen Wirbel in der türkischen Presse auf und war Anlaß zu Spekulationen. „Ich habe dem Staatspräsidenten gesagt, daß durch Leugnung der kurdischen Identität und durch Waffen nichts gelöst werden kann.“
Kaya bot an, zwischen Staat und PKK als Vermittler aufzutreten, und überbrachte Demirel auch einen Bericht über staatlichen Terror in den kurdischen Provinzen. Yasar Kaya wehrt sich gegen den Vorwurf, daß seine Zeitung legales Sprachrohr der PKK sei. „Gündem ist die Atemröhre der Kurden. Vor Gündem wußten wir nichts. Mit Gündem ist eine Kultur öffentlich geworden. Die Kultur Mesopotamiens. Zu ihr gehören Yeziden, Assyrer, die kurdische Küche und kurdische Architektur.“
Kaya, der lange Zeit als Firmenmanager und Unternehmer gearbeitet hat, publizierte als erster in der Geschichte der türkischen Republik im Jahre 1963 eine türkisch- kurdische Zeitschrift – Deng (Die Stimme). Heute ist der Mitbegründer des „Kurdischen Institutes“, der „Kurdischen Stiftung“, Parteivorsitzender der „Demokratischen Partei“ und Herausgeber der Gündem eine der bedeutendsten kurdischen Persönlichkeiten.
Einen Stockwerk höher als die Chefredaktion sitzt die Abteilung, die den staatlichen Terror gegen das oppositionelle Blatt juristisch verwaltet. Dicke Bände mit Gesetzeswerken stehen im Regal. Drei Rechtsanwälte sind fest bei Gündem angestellt. „Zu wenig“, klagt die Anwältin Arzu Sahin, „wir kommen nicht mehr mit.“ Fast hundert Prozesse laufen gegen die Zeitung. Fast alle nach dem Antiterrorgesetz, das „separatistische Propaganda“ und „propagandistische Unterstützung von Terrororganisationen“ unter Strafe stellt. Bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen den Autoren und dem presserechtlich Verantwortlichen.
Jeder verlorene Prozeß bedeutet auch, daß die Zeitung 90 Prozent der Einkünfte einer verkauften Monatsauflage als Strafe zahlen muß. Ein Gesetz, das die Redakteure hinter Schloß und Riegel und die Zeitung in den ökonomischen Ruin führt. Nahezu jeden Tag wird die Zeitung beschlagnahmt und verboten, wenn auch der Vertrieb nicht unterdrückt werden kann. Vor einem Jahr noch kamen die Verbotsverfügungen mehrere Tage nach der jeweiligen Tagesausgabe. Jetzt trudeln sie nachmittags ein.
In Istanbul ist es anders als in den Regionalbüros in Türkisch- Kurdistan. Noch stürmen und plündern keine Sondereinheiten der Polizei die Redaktionsgebäude. Zwei Beamte des Pressedezernates kommen mit der Beschlagnahmeverfügung in die Redaktion. Die Rechtsanwälte quittieren die Beschlagnahmeverfügung. „Glauben Sie mir. Die Polizisten vom Pressedezernat und wir sind wie langjährige Freunde. Ich sehe meine engsten Freunde nicht so oft, wie diese Polizisten“, sagt Anwältin Sahin.
Heute ist wieder einer der zahlreichen Prozeßtermine. Doch diesmal geht es nicht um das Verbot einer einzelnen Ausgabe. Die Staatsanwaltschaft fordert das Verbot der Zeitung. Gündem soll endgültig zum Schweigen gebracht werden.
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