„Der Kopf schlug an die Gehwegkante“

Gestern begann der Prozeß um den Tod des Mosambikaners Jorge Joao Gomondai in Dresden / Der Angeklagte Torsten R. will nur zufällig in der Straßenbahn mitgefahren sein  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Sie hocken in ihrer Bank wie die berühmten drei Affen. Nichts sehen, nichts hören und nichts wissen wollen sie von jenem Vorfall vor zweieinhalb Jahren, für den sie sich nun vor dem Gericht verantworten sollen. Nur einer der drei Angeklagten ist bereit, Angaben zum Geschehen zu machen, doch an Details kann er sich kaum noch erinnern. „Ist doch schon so lange her“, daß der Mosambikaner Jorge Joao Gomondai von einer Horde Jungmänner in einer Dresdner Straßenbahn mißhandelt und, eben das ist noch unklar, entweder aus der fahrenden Bahn hinausgestoßen wurde oder, wie die Anklage es formuliert, „in panischer Angst“ vor seinen Peinigern selbst aus der Bahn gesprungen ist.

Die Angeklagten fahren gut mit ihrer Strategie. Schon zu Beginn des gestrigen ersten Verhandlungstages vor dem Landgericht Dresden bestätigt sich, was von Polizei und Staatsanwaltschaft über die lange Ermittlungszeit hin immer wieder gern bestrittem wurde. Es gab schon am Tatort skandalöse Unterlassungen der Polizei und in der Folge mehrere, vorsichtig ausgedrückt, Fehler. Ob die Tat, die zum Tod des achtundzwanzigjährigen Arbeiters geführt hat, in diesem Prozeß aufgeklärt werden kann, erscheint fraglicher denn je.

Staatsanwalt Jörg Klein hält es für erwiesen, daß die Gruppe von Männern, zu der die Angeklagten gehörten, den Mosambikaner allein in der Straßenbahn angetroffen hatten und daß sie „beschloß“, ihn einzuschüchtern und zu mißhandeln. Torsten R. soll der „Anführer“ gewesen sein.

Dessen Anwalt Jürgen Schille verwahrt sich in einer persönlichen Erklärung gegen diese „Vorverurteilung“. Sein Mandant bedauere „ausdrücklich“, daß ein Mensch zu Tode kam, doch habe er selbst an diesem Vorfall „keinerlei Schuld“. Auf Emotionen bauend, sei eine Anklage „zusammengezimmert“ worden, die an Unexaktheit ihresgleichen suche. Schille sieht seinen Mandanten als „Prügelknaben“, der in der Presse als Neonazi gebrandmarkt werde, „obwohl er nie zu einer solchen Gruppierung gehörte und sich rechtes Gedankengut nicht zu eigen machte.“

Torsten R., ein schlanker Zweimetermann, tritt als liebenswerter „Junge von nebenan“ auf. Sauber frisierter Wuschelkopf, goldgeränderte Brille, türkisfarbener Anzug, Krawatte mit Nadel, so könnte er auch Bausparverträge verkaufen. Das Bild des clever-korrekten Youngsters gerät nur etwas aus der Fassung, wenn er den Mund öffnet, um eine Frage zu beantworten. Da bröckeln einzelne Wörter, Halbsätze, abgehackte Lacher. Ein reges Mienenspiel zeigt „ehrliches Erstaunen“ und „verhaltene Empörung“. Erstaunt ist er über die zudringlichen Fragen des Richters, empört, wenn er ein drittes Mal seine Antworten präzisieren soll. – Der Ostersonnabend 1991 begann in einem Discozelt. Torsten traf dort den Mitangeklagten Alexander W., den er „vom Sehen“ kannte. Irgendwann entschlossen sich die beiden, irgendwohin zu gehen. Wie es der Zufall so wollte, machte sich zugleich auch eine andere Gruppe auf den Weg in die Neustadt. Beide schlossen sich an, im „Café 100“ sollte ein Bier getrunken werden, danach wollte man nach Hause gehen. Zufällig traf Torsten R. in der „100“ einen alten Bekannten wieder; wie der heißt, weiß er nicht mehr. Man trank ein Bier und hörte draußen vor der Tür „Tumult“. Als sie nachschauten, fuhr gerade die Polizei weg. Zufällig fand sich wieder eine Gruppe. Torsten erinnert sich an „Glatzen“, von denen die meisten „einen Dialekt von drüben“ oder Berlinerisch sprachen. Mit denen zogen sie weiter, bis sie der Polizei in die Arme liefen. Ausweiskontrolle.

Jetzt war es nicht mehr weit bis zur Haltestelle. Angeblich, um in der Stadt essen zu gehen, es war gegen 4 Uhr morgens, fuhren die beiden Kumpels nicht nach Hause, sondern sie stellten sich mit den unbekannten anderen Jugendlichen an die stadtwärtige Haltestelle. Die Bahn kam, die Gruppe stürmte herein, entdeckte den „Schwarzen“. Torsten R. will vom anderen Ende des Waggons aus beobachtet haben, wie seine neuen Bekannten den Mosambikaner „in Richtung Tür drängten“ und dort bedrohten. Ja, Alexander W. soll nach einiger Zeit sogar aufgestanden sein und so etwas gesagt haben wie: „Laßt den in Ruhe!“ Was danach geschah, wollen beide nur durchs Fenster beobachtet haben.

Das Opfer stürzte aus der Bahn „und lief noch einige Schritte neben der Bahn her, bis er stürzte und mit dem Kopf an die Gehwegkante schlug“. Der Richter will dem Angeklagten eine Aussage vom 18. April 1991 vorhalten. Damals war Torsten R. angeblich als Zeuge vernommen worden. Wie es dazu kam, schildert er dem Gericht so: „Ich wurde in Handschellen aus der Wohnung geführt, in Handschellen vom Ermittlungsrichter vernommen. Ist das normal, daß man Zeugen in Handschellen vorführt?“ Da kann der Richter nur den Kopf schütteln. Das Vernehmungsprotokoll ist von diesem „Zeugen“ nicht einmal unterschrieben worden.