: Honeckers Restmannschaft muß büßen
■ Verurteilung mit Haftverschonung für die Übriggebliebenen
Berlin (dpa/taz) – Nach knapp zehnmonatiger Verhandlung hat die 27. Strafkammer des Landgerichts Berlin im Prozeß gegen die restlichen Angeklagten des „Honecker-Prozesses“ ihr Urteil gesprochen: siebeneinhalb Jahre Gefängnis für den ehemaligen Verteidigungsminister der DDR, Heinz Keßler, wegen Anstiftung zum Totschlag, fünfeinhalb Jahre für seinen Stellvertreter Fritz Streletz wegen des gleichen Delikts und viereinhalb Jahre wegen Beihilfe zum Totschlag für den ehemaligen Parteisekretär des Bezirks Suhl, Hans Albrecht. Die Angeklagten waren sämtlich Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR gewesen, jenes Gremiums, das unter dem Vorsitz Erich Honeckers über die Sicherheit der DDR- Grenzen wachte, mithin auch das „Grenzregime“ kontrollierte.
In seiner 45minütigen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende der Kammer, Hans Buß, aus, Keßler und Streletz hätten „die Grenztruppen der DDR in ihren Handlungen bestimmt und deshalb die Mitursache für den Tod von Flüchtlingen gesetzt“. Albrecht hingegen treffe nur eine untergeordnete Verantwortung. Die Angeklagten, so Richter Buß, hätten subjektiv zwar keine Toten an der Grenze gewollt, „sich letztlich aber doch mit ihnen abgefunden“. Sie hätten „eine Befehlskette in Gang gesetzt, die bis zum Grenzsoldaten reichte“. Das Urteil folge nicht der Maxime: „Wehe den Besiegten!“ Die Praxis des Grenzregimes mitsamt den 208 Toten, die es verursacht hat, sei nicht durch das Grenzgesetz gedeckt gewesen, hätte also auch DDR-Recht widersprochen. Der Vorsitzende räumte ein, das Gericht sei sich „seiner geschichtlichen Befangenheit zu jedem Zeitpunkt bewußt gewesen“. Dennoch sei das Verfahren kein politischer Prozeß. Die Angeklagten seien nicht als Staatsfunktionäre verurteilt worden, sondern weil sie „in politischen Funktionen dazu beitrugen, daß Flüchtlinge an der Grenze starben“.
Trotz der Verurteilung hob die Strafkammer die Haftbefehle gegen Keßler und Streletz auf, da auf Grund der geringen noch zu verbüßenden Reststrafe keine Fluchtgefahr mehr gegeben sei. Albrecht war bereits vorher wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes Haftverschonung gewährt worden. Keßler und Albrecht haben Revisionsanträge zum Bundesgerichtshof angekündigt, Streletz und die Staatsanwälte überlegen noch.
Während der Urteilsverkündung und danach protestierten alte (und junge) SED-Fans gegen die „Siegerjustiz“ und sangen, ohne zu stocken, die „Internationale“. Hans Modrow erklärte in einer Pressemitteilung der PdS, das Urteil sei geeignet, die Gräben zwischen Ost und West zu vertiefen.
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