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Fußballfieber im Wüstenwadi

Spitzenspiel der dritten jemenitischen Liga: Verwünschungen, ein Ohnmachtsanfall und 20 Mark Prämie für die Sieger  ■ Aus Hadramaut Karim El-Gawhary

Schon mehrere Tage sorgte es für Gesprächsstoff, das Spitzenspiel des Wüstentales Hadramaut im südlichen Jemen, unweit der omanischen Grenze gelegen. Hier sollte es sich entscheiden, ob die Provinzhauptstadt Sayun oder die Hafenstadt Muqalla am Golf von Aden das Rennen und damit den Aufstieg in die zweite jemenitische Fußball-Liga schaffen sollte.

Eine für die Architektur des Tales typische Lehmmauer umrahmt das Stadion. Durch zwei kleine Schießscharten hindurch werden die Tickets für umgerechnet 40 Pfennig herausgereicht. Gegen 16.30 Uhr war das Spiel angesetzt. Aber so genau nimmt man es hier nicht mit der Zeit und das Spiel ist schon einige Minuten am Laufen. Ungefähr 500 Zuschauer, die meisten schabab, also unverheiratete Jugendliche und Kinder, verteilen sich auf den Rängen. Die bunten futas, die Lenden-Umhänge der jemenitischen Männer, beherrschen das Bild. Weit und breit ist keine einzige Frau auszumachen. Im Hintergrund thront auf einer Anhöhe majestätisch die Burg der Söldner des ehemaligen Sultans, der hier erst 1967 mit der Ausrufung der Republik das Handtuch warf.

Ziemlich bald, wann, weiß man nicht so genau, da der Schiedsrichter der vermutlich einzige Mensch im ganzen Stadion mit einer funktionierenden Uhr ist, verwandelt die Nummer Elf der Gäste einen etwas unglücklich abgefälschten Freistoß zum 0 : 1. Es herrscht eine etwas gedrückte Stimmung auf den Rängen, als langsam die Sonne hinter den Wadiwänden verschwindet. Da nützt es auch nichts, daß ununterbrochen auf den unteren Rängen selbstgemachtes Mango-Eis am Stiel oder in der Plastiktüte feilgeboten wird. Muqalla droht, das Match an sich zu reißen, während sich Sayun im eigenen Spiel verzettelt. Und ein zweites Mal geht der Ball unter dem Jauchzen der Zuschauer über die Lehmmauer ab in die Wüste. „Unser Trainer ist zur Zeit etwas müde, und das wirkt sich auf die Spieler aus“, merkt mein Nachbar an.

Erst letztes Jahr wurde die Liga zwischen Nord-und Südjemen wie der Rest des Landes wiedervereinigt. Auch wenn sich die ehemalige nördliche und heutige Hauptstadt Sanaa den ersten gesamtjemenitischen Meistertitel holte, die nächsten fünf Teams stammten alle aus der Metropole des Südens – der Hafenstadt Aden. Meist gewann der Süden, wenn die Nationalmannschaften der beiden ehemaligen Länder früher gegeneinander antraten. Das letzte Mal geschah das vor vier Jahren in Kuwait. Im Cup der Arabischen Halbinsel triumphierte das Team aus dem Süden gegen den Nordjemen, Oman und Kuwait. Nur Saudiarabien konnte ihm mit einem Unentschieden Einhalt gebieten.

Doch zurück zu unserem Amateurspiel im Wüstenwadi. Die zweite Halbzeit beginnt mit einer unsagbar verpatzten Chance der Nummer 12 der Gastgeber aus Sayun. Fast frei vor dem Tor stehend, bolzt der Spieler den Ball weit über die Latte. „Yachrib baitak – Möge Allah das Haus über dir zusammenstürzen lassen“, brüllt jemand aus der hinteren Reihe. Kurz darauf kommt noch einmal Nervosität in der heimischen Fankurve auf. Ein von linksaußen ausgeführter Freistoß kann der Muqalla-Torwart gerade noch mit den Fingerspitzen am Pfosten vorbeilenken. Unterdessen sieht der erste Spieler der Hafenstadt unter der lautstarken Zustimmung des Publikums die gelbe Karte für die Verzögerungstaktik der Mannschaft. „Los Sadiq – mein Freund“, schreit mein Nachbar, als erneut ein Spieler Sayuns aufs gegnerische Tor zurennt. Sadiq hat sich als nette Anrede im Süden aus den Zeiten der russischen Experten in der jemenitischen Volksrepublik erhalten. „Das hat den Russen immer besonders gefallen“, erklärt mir der Nachbar grinsend.

Langsam läßt der Spielfluß nach. Kein Wunder bei dieser wahnwitzigen sommerlichen Hitze mitten in der Wüste, bei der schon das Publikums durchs bloße Zusehen ins Schwitzen gerät. Doch als Muhammed Ali für die Heimmannschaft einen Freistoß erfolgreich zum Ausgleich verwandelt, kommt noch einmal Stimmung auf. „Das war ein Häßler-Freistoß“, sagt jemand freudestrahlend. Die Bundesliga kennen hier alle Jungs wie ihre Westentasche. Niemanden hält es mehr auf den Sitzen. Vier Polizisten stellen sich gelangweilt in Positur. „Manchmal gibt es Zoff, nur weil die Polizei aufzieht“, zwinkert mir mein Nachbar zu.

Heute bleibt aber alles friedlich. Das liegt sicherlich auch daran, daß scheinbar keine Fans aus Muqalla angereist sind. Die 360 Kilometer lange Straße durchs Wüstental ist in schlechtem Zustand, und die Reise gilt als äußerst beschwerlich. Ein Handspiel führt dann zu einem Elfmeter zugunsten Sayuns. Leider schießt Salim genau den Torwart an. Gedämpftes Schweigen auf den Rängen. Als dann Muqalla mit einem satten Schuß aus der zweiten Reihe zum 2:1 wieder die Führung übernimmt, fällt der erste Sayun-Fan in Ohnmacht, wird aber mit Hilfe der Zuschauer schnell wieder zu Bewußtsein gebracht. Der Schiedsrichter pfeift bald darauf zum Schluß.

Neidisch diskutieren die Zuschauer die 500 Real Siegesprämie, umgerechnet 20 Mark, die Muqallas Spieler einstreichen werden. Dabei bewegen sich die 500 schabab langsam nach draußen, um sich auf eine der unzähligen 125er Suzukis zu schwingen und sich zu zweit oder zu dritt pro Gefährt wieder über die Oasenstadt zu verteilen. „Wir spielen hier nicht wie Maradona“, entschuldigt sich später einer der Zuschauer, aber der hätte schließlich ganz andere Möglichkeiten und würde sich nicht herablassen, wie die Spieler hier auf einem staubigen Lehmboden zu spielen.

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