Indien: Der Kampf ums Große Nagaland

■ Massaker an 90 Dorfbewohnern

Berlin (taz) – Ethnische Konflikte haben im nordindischen Bundesstaat Manipur mindestens 90 Todesopfer gefordert, zwei Dörfer wurden zerstört. Am Mittwoch hatten Angehörige des Naga-Volkes ein Massaker an etwa 90 Kukis verübt. In einer Vergeltungsaktion überfielen Mitglieder des Kuki-Volkes am Donnerstag ein Naga-Dorf und zündeten alle 25 Häuser an; wie viele Menschen dabei umkamen ist noch nicht bekannt. Die Armee in der Region wurde laut AFP in Alarmbereitschaft versetzt. Nach Ansicht der örtlichen Polizei geht das Massaker vom Mittwoch auf das Konto der verbotenen Organisation Nationaler Sozialistischer Rat von Nagaland (NSCN), die für ein unabhängiges Nagaland kämpft.

Blutige Zusammenstöße zwischen Nagas und Kukis – beides christliche Volksgruppen – gibt es seit 1987. Erst in diesem Jahr jedoch ist der Konflikt so eskaliert, daß ganze Dörfer ausgelöscht werden. Der Hintergrund: Zwar lebten eine kleine Zahl der ursprünglich in Burma heimischen Kukis schon mehrere Generationen lang in Manipur, doch hat sich ihre Zahl vervielfacht, seit sie von der burmesischen Junta verfolgt werden. Die Naga-Separatisten betrachten diese Kukis als Eindringlinge und Konkurrenten im Kampf um das Land, auf dem sie ihren eigenen Staat errichten möchten. Die Kukis wiederum sehen sich bedroht von den Plänen des NSCN für ein Großes Nagaland, das Teile ihres angestammten Territoriums umfassen würde.

Beide Volksgruppen werfen den Regierungen beiderseits der Grenze vor, den Konflikt anzuheizen: Der NSCN beschuldigt das indische Militär, die Nationale Armee der Kukis (KNA), die ihre Basis in Burma hat, mit modernen chinesischen Waffen auszurüsten; die KNA wiederum behauptet, das Regime in Burma würde die Naga- Kämpfer bewaffnen. Motive gäbe es: Die Inder wollen die aufmüpfigen Naga-Separatisten kaltstellen, die Regierung in Rangoon die Kukis loswerden, die einen eigenen Staat in Burma anstreben. Kai Strittmatter