: Ein Paradies für Umweltsäue Von Ralf Sotscheck
Anfang des Monats wurde es ernst: Landauf, landab setzten die lokalen Bürgerkomitees zum Endspurt an. Sie sammelten Kaugummipapier auf, weißelten Mäuerchen und forderten weniger enthusiastische MitbürgerInnen auf, wenigstens den Rasen im Vorgarten zu mähen und ihre Hunde für vierzehn Tage am Scheißen auf die Gehwege zu hindern – zumindest im eigenen Viertel. Schließlich ging es um nationale Ehren, nämlich um die „Tidy Towns Competition“, den Wettbewerb um den Titel der saubersten Stadt Irlands.
Neben der Ehre ging es aber vor allem um viel Geld: Die antiseptischsten Orte erhoffen sich einen erheblichen Zustrom von TouristInnen im nächsten Jahr. So löste die Nachricht vom Gesamtsieg in Keadue – „völlig unerwartet“, log Komiteemitglied Berna Gibbons – regelrechte Euphorie aus. Der Ort hat knapp 200 EinwohnerInnen und liegt in der Grafschaft Roscommon, die von den Segnungen des Tourismus bisher weitgehend ausgeschlossen war. Es sei daher „nicht nur für Keadue ein historischer Tag, sondern für ganz Westirland“, frohlockte Gibbons. Möglicherweise ist ihr bisher entgangen, daß sich die meisten der drei Millionen ausländischen BesucherInnen im Jahr vorwiegend an der Westküste herumtreiben. Ab sofort wird nun auch das kleine klinische Keadue in den Hochglanzbroschüren des Fremdenverkehrsamtes, das den Wettbewerb seit 35 Jahren veranstaltet, prominent vertreten sein.
Die Industrie-Entwicklungsbehörde (IDA) produziert ebenfalls bunte Hochglanzbroschüren über Irland. Ob beide Behörden jedoch von derselben Insel sprechen, erscheint zweifelhaft. In den IDA- Heftchen ist von Umwelt keine Rede, von Auflagen zum Schutz derselben erst recht nicht. Wie das in der Praxis aussieht, erfuhr die verdutzte Bevölkerung vor kurzem am eigenen Leib: In Ringaskiddy, einem Industriegebiet im südirischen Cork, explodierte das chemisch-pharmazeutische Werk der Firma Hickson. Dabei trat eine Wolke unbekannter Schadstoffe aus. Doch damit nicht genug: Die Feuerwehr, die kurze Zeit später eintraf, war zum Zuschauen verurteilt, weil es kein Löschwasser gab.
Der Untersuchungsbericht der staatlichen Agentur für Umweltschutz, der jetzt veröffentlicht wurde, malt ein düsteres Bild. So hat Hickson seit Jahren sämtliche Auflagen mißachtet und gnadenlos Chemiemüll ins Wasser und in die Luft geleitet. Während die Firma diese Verstöße gegen die Lizenzbedingungen jedoch intern aufgelistet hat, sind der Stadtverwaltung in Cork, die für die Überwachung der Anlage zuständig ist, nur eine Handvoll Fälle bekannt. Dort heißt es, daß Hickson im Begriff sei, schrittweise gesetzestreu zu werden. Den örtlichen Umweltschützern stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge: „Das ist dasselbe, als wenn ein besoffener Autofahrer nach einem Unfall davonfährt, aber der Polizei vorher versichert, daß er auf dem besten Weg zur Ausnüchterung sei“, sagte einer von ihnen. Die Agentur für Umweltschutz empfiehlt der Stadtverwaltung, sich ein kleines Labor anzuschaffen, damit man in Zukunft die Ferkeleien analysieren kann, die Hickson und andere Pharma-Multis in Ringaskiddy anrichten. Wer weiß, vielleicht gewinnt Ringaskiddy dann ja im nächsten Jahr die „Tidy Towns Competition“.
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