Glücksgefühle in der Pharmaindustrie

■ Medikamente mit Marihuana-Wirkstoff könnten ein Verkaufsschlager werden

Der Schlüssel zur Glücksseligkeit heißt Anandamid und paßt in dasselbe Schloß wie der Wirkstoff von Marihuana. Welche Türen die beiden im Kopf öffnen, das wollen nun Hirnforscher herausfinden. Unter ihnen hat die neue Substanz, entdeckt erst vor wenigen Monaten, für Euphorie gesorgt. Sie erhoffen sich Aufschluß über die biologische Grundlage von Gefühlsstimmungen – Anandamid wird vom Körper selbst hergestellt. In der pharmazeutischen Industrie wittert man nun Marktchancen für neue Medikamente.

Dem israelischen Chemiker und Anandamid-Entdecker Raphael Mechoulam war es bereits in den sechziger Jahren gelungen, aus Hanfblättern deren bewußtseinsverändernden Wirkstoff Cannabiol (THC) zu extrahieren. Danach wurde es lange still um die Marihuana-Forschung. Doch 1988 fanden amerikanische Physiologen in den Gehirnen von Mäusen und später von Menschen spezielle Nervenzellen mit Erkennungsbausteinen (Rezeptoren) für Cannabiol. Wohlige Gefühle erzeugt Marihuana, indem es gezielt dort eingreift. Darin wirkt es viel subtiler als Alkohol, der sämtliche Gehirnzellen überschwemmt.

Entstanden Cannabiol-Rezeptoren während der Evolution, um Menschen eines Tages beim Rauchen Hochgefühle zu verschaffen? Kaum, meinten die Wissenschaftler und machten sich auf die Suche nach deren Funktion. Im vergangenen Jahr schließlich entdeckte Mechoulam in Schweinehirnen eine Substanz mit cannabiolähnlichen Eigenschaften. Nach dem Sanskrit-Wort ananda für Glücksseligkeit taufte er die Chemikalie Anandamid.

Daß Anandamid in den betreffenden Nervenzellen tatsächlich denselben „Schalter“ drückt wie Cannabiol, fanden Mechoulam und Kollegen kürzlich durch ein solches Experiment (New Scientist) heraus: Sie schleusten die für Cannabiol-Erkennung zuständige Erbsubstanz in Hamsterzellen. Diese begannen wie erwartet Cannabiol-Rezeptoren zu erzeugen, an denen die Forscher die Wirkung von Anandamid studieren konnten. Und Tom Bonner vom amerikanischen „National Institute of Mental Health“ klont bereits Mäuse, die durch Genmanipulation keine Cannabiol-Rezeptoren entwickeln. Ihr Anandamid kann daher nicht in die Gehirnvorgänge eingreifen. So möchte der Wissenschaftler herausfinden, wozu der Glücksstoff dient. Bisher kursieren darüber nur Vermutungen, doch glauben die Forscher, einer Schlüsselsubstanz der Psyche auf der Spur zu sein. Sie kann offensichtlich Hochstimmungen hervorrufen, und möglicherweise begünstigt ihr Fehlen das Entstehen von Depressionen.

„Enorm aufregend“ findet Walter Ziegl-Genzberger, Professor für Pharmakologie am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie, diese Entdeckungen nicht nur, „weil wir anhand der Cannabiol- Rezeptoren die Wirkung von Marihuana und dessen hypothetische Langzeiteffekte testen können – die nicht ausschließlich negativ sein müssen“. Vielmehr prophezeit er einen Boom der Forschung an Medikamenten auf Cannabiolbasis, deren Effekte nun gezielt untersucht werden können. Psychopharmaka als mögliche Anwendungen liegen auf der Hand, aber ebenso hilft THC bei Schmerzen, Entzündungen und der Augenkrankheit Grüner Star. Haschischrauchen und damit Cannabiol regt den Appetit an; weniger bekannt ist, daß es den Brechreiz unterdrückt. Beides könnte Aids- und Krebspatienten zugute kommen, die unter Chemotherapie stehen – in den USA gibt es schon Patientengruppen, welche die Freigabe von Marihuana für medizinische Zwecke fordern.

Pharmaunternehmen hingegen wünschen sich einen Stoff mit den therapeutischen, aber ohne die angenehmen Eigenschaften von Cannabis, der dann nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fiele. In den siebziger Jahren wurde in den Labors mehrerer Unternehmen erfolglos danach gesucht – so auch im Berliner Schering-Konzern. Nun scheinen die ersehnten Mittel wieder in Reichweite. Denn die Entdeckung von Anandamid und seiner Rezeptoren könnte dazu führen, daß Marihuana und seine Abkömmlinge neu bewertet werden – zumindest im medizinischen Bereich. Und Verkaufsargumente liefern: Schließlich, so Ziegl-Genzberger, „gilt Cannabiol jetzt als biologienahe Substanz“. Stefan Klein