: Mit Kinderaugen gefilmt
■ Billigstvideos in „Pixelvision“, heute abend im Neuen Museum Weserburg
Für den Spielzeugkonzern Fisher war die „Fisher — Price PXL 2000“ ein Flop: Nur für eine Weihnachtssaison wurden die Spielzeugkameras produziert. Zu wenig Zehn- bis Sechzehnjährige wünschten sich die Low-Tech Geräte zum Niedrigpreis von etwa 100 Dollar, die ein grobes Schwarzweißbild und einen sehr kratzigen Ton mit lauten Kamerageräuschen aufnehmen konnten. Durch bloßes Abspielens verschlechterte sich die Bildqualität zudem rapide. Gerade diese Defizite machten die Kameras aber für Medienkünstler interessant, die schnell ihren Sprößlingen das Spielzeug wegnahmen und alsbald in entlegensten Toys-R-Us-Läden die Regale nach den letzten noch vorhandenen Kameras absuchten. Heute abend zeigt das Neue Museum Weserburg eine Auswahl von Arbeiten in ihrer ganzen, reizvollen Ärmlichkeit.
Mit der Spielzeugkamera in der Hand werden die meisten Medienkünstler selber auch leicht kindisch: Pete Brancaccias „Perestroika Punch“ ist einfach ein gefilmter Sketch über ein Häuflein trinkfroher Russen. „Don from Lakewood“ von Pat Tierney zeigt ein Schattenspiel, mit dem witzige Telefonanrufe bebildert werden. Die vermeintich erwachsenen, anspruchsvolleren Werke in „Pixelvision" wirken dagegen oft langweilig und prätentiös.
Und so ist es nur konsequent, daß die spannensten Arbeiten in „Pixelvision" aus der ursprünglichen Zielgruppe kommen. Die achtjährige Sierra Le Barron Mellinger hat in Parodien auf Werbespots ihre Eltern vor der Kamera spielen lassen und begleitet in „The Doctors“ ihre Mutter zu einem Termin beim Gynäkologen. Gerade weil diese Aufnahmen mit ihren brutalen Schnitten, die auf dem Bildschirm als eingefrorene Risse zu sehen sind, völlig kunstlos sind, wirken sie so rührend, authentisch und poetisch wie von Kindern gemalte Bilder.
Sadie Bennig ist dagegen die genuine Meisterin der Pixelvision. Drei Beiträge , die sie 1988 als Sechzehnjährige machte, sind wie Tagebucheintragungen voller hieroglyphischer Darstellungen und irritierder Selbstportaits in extremen Nahaufnahmen. 1992 kommt Sadie Bennig dann mit „It wasn't Love“ an den Endpunkt des Genres. An diesem 20 Minuten langen Band über ihre lesbische Beziehung zu einem „bad girl“ sind fast alle Unreinheiten des Mediums mit viel Eleganz, Talent und hochprofessionellem Handwerk ausgemerzt. Wilfried Hippen
Heute abend um 19.30 Uhr im Neuen Museum Weserburg
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