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Eine Klasse für sich

Aus wenigen ein Ganzes fügen: Das ThéÛtre Repéré aus Quebec brilliert auf dem Bremer „Internationalen Theater-Festival Shakespeare Companies“  ■ Von Lore Kleinert

Die Bremer Shakespeare Company macht sich ein Geschenk – ein Festival. Drei weltberühmte Gruppen zeigen ihre Annäherungen an Shakespeares Idee der „unteilbaren Szene“, ihre Variationen: ein großes und großzügiges Geschenk zum zehnjährigen Bestehen, welches das an Enttäuschungen und theatralische Hausmannskost gewöhnte Bremer Publikum nur mit Mühe erreicht.

Die erste Station: Das ThéÛtre Repéré aus Quebec, Kanadas berühmteste freie Gruppe, auf internationalen Festivals gefeiert, betritt den „Kontinent Shakespeare“ mit „Macbeth“, „Coriolan“, dem „Sturm“. Theater in einer riesigen, zugigen Fabrikhalle auf dem Gelände der ehemaligen Weserwerft, unter Wellblechdach, an fremdem Ort, in fremder Sprache: Nackt räkelt sich Macbeth' schöne Lady auf dem quer über die Bühne gezogenen Brettersteg. Nackt erwartet sie ihren Krieger, und nachdem sie Mord und Machtkampf entfesselt hat, packt sie die Angst, und sie kauert dort nackt wie ein zitterndes Tier, ein Eichhörnchen, dem man das Fell abgezogen hat. Der Steg, Brechts Vorhang in Holz, ist mal Zaun und Grenze, der die Gefechte hinter ihm in Zeitlupen zerhackt, mal eigene Ebene, mal Raum und Palast in glühenden Farben. Weit zurück greift dieser „Macbeth“ in die Zeit barbarischer Horden, die frühe Geschichte der Eroberung des Raumes und des Goldes. Weit zurück? Die Männer, die Krieger, zeigen ihre blutigen Hände wie Zeichen des Unausweichlichen. Ihr Gemetzel, hinter weißen Tüchern verhüllt wie ein Schattenriß, rückt schlaglichtartig ganz nah – der Abstand von Zeit und Geschichte versinkt.

Der Kampf, ein barbarisches Ritual, eine blutige Spur, ohne daß Unmengen von Theaterblut verspritzt werden, wie es jetzt üblich geworden ist. Der Krieg – ein politisches Kalkül: Im „Coriolan“ ist der erfolgreiche Kriegsheld zum machthungrigen Politiker verfeinert, der das Volk zu offen verachtet. Jedes Mittel ist ihm recht, um sein aufgeblasenes Ego in Abendanzug oder Uniform zu sichern, und nur seine Mutter, ein Alptraum im schulterfreien Abendkleid, Fleisch von seinem Fleische, kann ihn klein machen, löscht ihn schließlich aus. Während sich im „Macbeth“ die Bilder überblenden und zum archaischen, kunstvoll gewebten Strom werden, sind sie hier in einen Ausschnitt gezwängt. Wie auf einer nicht einmal mannshohen Cinemascope-Leinwand sieht man in 22 Szeneneinstellungen Ausschnitte von den Intrigen der Mächtigen, in der Bar als place publique, dem Nobelrestaurant, dem Rundfunkstudio. Der Kampf um Rom ist verkleinert zum Auftritt von Marionetten, Zinnsoldaten und Holzpferdchen, und die feine Gesellschaft betrachtet den Krieg auf dem Fernsehschirm. Die Soldaten werden kenntlich durch Stiefel und Uniformteile, und wenn Coriolan mit dem Gegenspieler Aufidius kämpft, sieht man nur das Spiegelbild zweier nackter Körper, die sich aufeinander werfen, fast zärtlich. Schwarzblenden und dröhnende Hupkonzerte (Musik Louise Simard) zerlegen die Geschichte von der heißen und kalten Machtgier, und aus den präzisen Bildern setzt sich ihre Substanz neu zusammen, im eigenen Kopf.

Kein Blutrausch, keine Besessenheit im dritten Teil, dem „Sturm“, scheinbar, denn hier ist das Geschehen auf Prosperos Insel in die Klasse einer Theaterschule verlegt. Federleicht, wie improvisiert, entstehen Figuren und Szenen und erwachen zum Leben, wenn die Schüler spielen. Die beiden großen Tische werden Meer und Schiff und Insel, die Spinde Hindernisse und Berge, Luftgeist Ariel turnt und fliegt auf der Fabriklampe, und die Spiegelwand mit der Ballettstange ist magische Grenze. Prospero ist der Schauspiellehrer; je mehr er in das Schicksal der Schiffbrüchigen auf seiner Insel eingreift, je mehr er lenkt und kontrolliert, desto mehr verselbständigt sich das Spiel im Spiel. Am Ende sind die verräterischen Fürsten und die trunkenen Matrosen, das Liebespaar und der widersetzliche Caliban eingekleidet wie im Theater zu Shakespeares Zeiten. Weiß geschminkt und erstarrt wie Wachspuppen, deklamieren sie ihren Text, und das Spiel ist aus. Winzige Holzschiffchen gleiten langsam über den Boden, und Prospero, der alte Lehrer, zerbricht seinen Stift, wirft das Buch fort, nachdem er den magischen Raum längst verlassen hat. Der Mensch, auch wenn er spielt und träumt, ist in Gefahr, das Leben auszulöschen und den „Stoff, aus dem die Träume sind“, zu verspielen: Ein Kreis schließt sich, zu Macbeth mit den blutigen Händen, der tötet wie im Traum, zu Coriolan, der sich am Erfolg berauscht und Heere verheizt, weil er seine Schwäche nicht erträgt.

Bilder und Töne laden diesen Kreis auf: Robert Lepage, der – nach der berühmtem Drachentrilogie auch diese mit dem ThéÛtre Repéré inszenierte, braucht keine teure, überdimensionale Maschinerie, um Dinge zu beleben. Mit Lichteffekten, Andeutungen, Ausschnitten lenkt er den Blick, ohne ihn abzulenken, und vertraut darauf, daß aus Nuancen, Bewegungen, Musik und Sprache und wenigen Gegenständen ein Ganzes entsteht. Reichtum, erwachsen aus Sparsamkeit und Genauigkeit: Shakespeares gewalttätige und verspielte Menschen erwachen zu intensiverem Leben, als wenn man sie mit aktuellen politischen Anspielungen ausstaffiert hätte. Natürlich ist sein Zugriff nur möglich durch diese Gruppe von Schauspielern, die seit 1980 als ThéÛtre Repéré eine Methode der Improvisation entwickelt hat, die diese Verschmelzung aller Elemente erreicht und, wie Lepage es fordert, Kontemplation und Vision vereinigt. Das ist nicht übertragbar und setzt dennoch Maßstäbe. Wer dieses Theater gesehen hat, empfindet den „Stoff“ menschlichen Seins deutlicher für einen flüchtigen Augenblick und weiß genauer um das, was ihn bedroht, in allen Zeiten und jetzt. Ein Geschenk, das die Bremer Shakespeare Company ihrem Publikum gemacht hat.

Das Festival wird ab 24.9. mit Annette Leday/ Keli-Company und ihrer Tanztheaterproduktion „King Lear“ fortgesetzt, ab 29. gastiert der Gran Circo Teatro aus Chile mit „Richard II.“ und „Was ihr wollt“.

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