: Dramatik und Routine
■ Am Samstag trafen sich die taz-GenossInnen zur jährlichen Generalversammlung / Redaktionsstatut abgesegnet / Nachwahlen zum Vorstand
Berlin (taz) – Der Ort war historisch, die Versammlung eher schon Routine. Wer sich erinnerte, wie vor zwei Jahren an gleicher Stelle, in der Kongreßhalle mitten im Berliner Tiergarten, sich die Kontrahenten gefetzt hatten, den erinnerte die Versammlung am Samstag fast schon – aber nur fast – an die Aktionärsversammlung eines Konzerns.
Damals ging es auf dem taz-Plenum darum, ob die taz sich einen kapitalkräftigen Verleger suchen sollte oder nicht. Die große Mehrheit entschied sich für eine Genossenschaft. Am Samstag hatten die tazlerInnen ihre „Versammlung der Mitarbeitenden“, und die über 2.900 GenossInnen wählten als Kontrollgremium den Aufsichtsrat. Die MitarbeiterInnen hatten am Samstag die vornehme Aufgabe, das Redaktionsstatut abzusegnen. Alsdann waren zwei Vorstandsplätze zu vergeben, da die Bremer Lokalredakteurin Susanne Paas die taz verlassen hat und der Hamburger Rechtsanwalt Rudolf von Bracken zugunsten eines Kandidaten aus dem neu gegründeten Unternehmensbereich „Nord-taz“, der die Lokalteile Hamburg und Bremen zusammenfaßt, zurücktrat. An beide ging der Dank für ihre Arbeit in der Aufbau- und zugleich Krisenphase der Genossenschaft des vergangenen Jahres. Neu gewählt wurden mit großen Mehrheiten die bisherige Ressortleiterin Kultur, Klaudia Brunst, und Klaus Wolschner, Gründer und Mentor der taz-Bremen.
Während drinnen noch die Stimmen ausgezählt wurden, warteten vor der Tür schon die anderen GenossInnen. Zu Hause hatten sie die Berichte von Vorstand, Aufsichtsrat und Chefredaktion, Bilanz und Jahresabschluß, bereits studieren können. Anlaß zur Besorgnis. In der Krise des Jahres 92 hat die taz über vier Millionen Mark Verluste gemacht, gerettet haben sie die stillen Reserven, die im Wert ihres Hauses in der Kochstraße 18 stecken, und vor allem die 11.000 neuen AbonnentInnen der Rettungskampagne im letzten Herbst. Doch nach dem großen Aufschwung gab es wieder einen (kleineren) Abschwung. Unter den Rettern waren viele, die zuvor am Kiosk die taz gekauft hatten. Folge: Dort ist unsere Auflage um rund 4.000 täglich zurückgegangen. Und auch die Zahl der AbonnentInnen ist um 2.000 rückläufig. Grund genug für den Vorstand, unter dem Namen „taz-Solidarpakt“ ab nächsten Samstag eine große Abokampagne zu starten, die den „politischen Preis“ in den Vordergrund stellt, den die Existenz der Zeitung fordert.
Der Aufsichtsrat billigte sie, schrieb aber in seinem Bericht, „daß die taz ihr Erscheinen nur gewährleisten kann, wenn die Auflage nennenswert steigt“. Satzungsgemäß hätte auf dieser Generalversammlung ein vom Los bestimmtes Mitglied des Aufsichtsrates zurücktreten müssen. Um jedoch die „Dramatik der Situation“ klarzumachen, traten alle drei Räte zurück – und stellten sich erneut dem Vertrauensvotum der Versammlung, mit der Ankündigung, daß sie „im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgaben“ künftig auch drastische Mittel befürworten würden, wenn die Auflage nicht steige.
Nachdem der Jahresabschluß 92, vom Prüfer des Genossenschaftsverbandes für gut befunden, gebilligt und Vorstände wie Aufsichtsräte formell entlastet waren, wurden alle drei Aufsichtsräte, Professor Elmar Altvater, Rechtsanwalt Johannes Eisenberg und Steuerberater Gerd Schmücker, mit jeweils mehr als drei Viertel der Stimmen wiedergewählt.
In der allgemeinen Aussprache mit den gut hundert angereisten GenossInnen durften schließlich Chefredaktion und Verlag eine Reihe von interessanten Vorschlägen entgegennehmen: ob taz- Spendenabos für Bibliotheken und Jugendzentren (Tip: Über die Stadtverwaltung, die darf auch Spendenbescheinigungen ausstellen), ob bessere Präsenz der taz an Kiosken in kleineren Städten oder weiteres Werben von neuen Einlegern und höhere Einlagen in die Genossenschaft.
Nur einen Vorschlag lehnte Chefredakteur Michael Sontheimer heftig ab: Ein Genosse beschwerte sich über „Zensur“ der LeserInnenbriefe zum Thema Bosnien und forderte, die Auswahl der traditionell zuständigen taz- Sazztechnik zu entziehen. Doch an diesem geheiligten Privileg der Nicht-RedakteurInnen will die Redaktion nicht rütteln. Das symbolische Gegengewicht bleibt. Michael Rediske
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