Menschenrechte in Bonn kein Thema

Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller kann aus Bonn eine Reihe Wirtschaftsvereinbarungen mit nach Hause nehmen / Nur Nebulöses zur doppelten Staatsbürgerschaft  ■ Aus Bonn Ömer Erzeren

Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller kann ihren Bonn- Besuch als großen Erfolg verbuchen. Vorrangig ging es der türkischen Seite darum, Wirtschaftskooperation voranzutreiben. Völlig unerwartet für Beobachter war die Ankündigung der türkischen Ministerpräsidentin, daß Deutschland das erste türkische Atomkraftwerk nahe der Schwarzmeerstadt Zonguldak bauen wird. Von der Öffentlichkeit unbehelligt, war das Projekt bereits seit Monaten unter Dach und Fach.

Die deutsch-türkische Wirtschaftskommission, die zuletzt 1987 tagte, wird wiederbelebt. Ein ständiger Kooperationsrat, dessen erste Sitzung am 4. und 5. November stattfinden wird, ist vereinbart worden. Ebenso wird eine „Deutsch-Türkische Handelskammer“ eingerichtet. Über gemeinsame Joint-ventures in Kasachstan habe sie mit Bundeskanzler Kohl gesprochen, sagte Tansu Ciller.

Kohl lobte die Türkei im Gegenzug als Modell für die neuen Staaten, die sich im Kaukasus und in Zentralasien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion herausgebildet haben. „Diese Länder sehen in der Türkei Atatürks eine große Chance, um ihre eigene Entwicklung voranzutreiben.“ Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel trafen auf eine Politikerin, die in voller Überzeugung der geostrategischen Rolle der Türkei und des boomenden türkischen Kapitalismus Geschäfte mit den Deutschen machen will. Europa könne nicht ohne die „laizistische Türkei“ leben, erklärte Ciller knapp und bündig.

Die Menschenrechtslage in der Türkei fand beim Besuch der türkischen Ministerpräsidentin nicht einmal eine Erwähnung. „Bezüglich der Menschenrechte kann Deutschland oder Europa der Türkei nichts erzählen. Im Herzen Europas werden Menschen ermordet“, sagte Ciller gegenüber türkischen Journalisten. Die Deutschen hielten sich an die Forderung Cillers: „Herr Bundeskanzler Kohl hat die Menschenrechtsfragen nur einmal erwähnt, als er darauf hinwies, daß eine Gruppe propagandistische Tätigkeit gegen die Türkei betreibt.“ Die türkische Delegation war mit Dossiers über „Türkei-feindliche Organisationen und Personen“, sprich Anhänger der kurdischen Guerilla PKK, Linke und islamische Fundamentalisten, angerückt. Auch wenn vorerst nicht damit zu rechnen ist, daß die PKK in Deutschland verboten wird, haben die Türken ihr Ziel erreicht, daß die kurdische PKK im offiziellen deutschen Sprachgebrauch als „terroristische Organisation“ angesehen wird. Neben dem wirtschaftlichen Kooperationsrat soll ebenfalls eine gemeinsame deutsch-türkische Sicherheitskommission eingerichtet werden.

Im Gegensatz zu konkreten Wirtschaftsvereinbarungen, wie dem Bau des AKWs, war nur Vages über die Verbesserung des Status der türkischen Migranten in Deutschland zu hören. Die Bundesregierung prüfe Fragen zur doppelten Staatsbürgerschaft. Ein Stufenplan sei im Gespräch. Mit lästigem Beiwerk, wie den rassistischen Übergriffen in Deutschland und mit Kurdistan wollten sich beide Seiten nicht die Geschäfte vermiesen lassen.