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Wie die Atomlobby klappert

■ Finnisches Parlament stimmt heute über ein neues AKW ab

Helsinki (taz) – Abstimmen, bis die Mehrheit stimmt: dieses Prinzip greift in Skandinavien um sich. Nachdem es in Dänemark beim zweiten Anlauf mit Maastricht geklappt hat, müssen heute die Reichstagsabgeordneten in Helsinki erneut über eine Frage entscheiden, die sie eigentlich schon beantwortet hatten. Mit 96 zu 78 Stimmen hatten sie im letzten Jahr den Bau eines neuen Atomkraftwerkes verworfen.

Aber Regierung und Atomlobby haben seither nicht geschlafen. Nach gründlicher Bearbeitung einzelner ausgewählter Abgeordneter glaubt man nun, eine Merheit zusammen zu haben. Knapp wird es werden. Private Umfragen lassen auf eine Mehrheit von ein oder zwei Stimmen schließen – mal dafür, mal dagegen. Zehn Abgeordnete wurden anscheinend „umgedreht“, mit Mitteln, die nicht nur Atomkraftgegner „Korruption“ und „Bestechung“ nennen: Der Siemens-Konzern, neben der schwedisch-schweizerischen ABB-Atom erfolgreich im Rennen, spendierte den Abgeordneten Gratisreisen nach Deutschland.

Auch die Gewerkschaften ließen sich etwas einfallen. Zwar legte ABB-Atom letzte Woche Berechnungen vor, wonach während der Bauzeit nur 55.000 Arbeitsplätze entstehen. Doch der finnische Gewerkschaftsdachverband FFC sah gleich das halbe Arbeitslosenheer von der Straße verschwinden: 250.000 neue Jobs werde ein neues Atomkraftwerk schaffen. Zu dieser Zahl kommt man, wenn man noch mögliche zukünftige Exportchancen des letzten Unterlieferanten mitrechnet.

Wer dennoch nein sagt, läuft Gefahr, persönlich für jeden finnischen Arbeitslosen verantwortlich gemacht zu werden. Die Abgeordneten des exkommunistischen Linksverbands und der Grünen tun es trotzdem. Dazu die Mehrheit des bäuerlichen Zentrums und die eine Hälfte der über die Atomkraft tief gespaltenen Sozialdemokraten.

Und selbst bei den Konservativen sollen vier Nein-SagerInnen noch immer nicht umgedreht worden sein. Nicht überraschen dürfte, daß die Frage, wozu Finnland ein fünftes Atomkraftwerk braucht, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vier Atommeiler sind schon am Netz, das Land liegt mit einem Anteil von rund 40 Prozent Atomstrom in der europäischen Spitzengruppe. Alternativen wären durchaus vorhanden, werden aber kaum diskutiert. Rußland und Norwegen wären heilfroh, Erdgas nach Finnland liefern zu dürfen. Entsprechende Pipelines lohnten sich aber nur, wenn Finnland mindestens zwei seiner Atomkraftwerke stillegen würde. Doch ein solches Signal will die Atomlobby auf alle Fälle verhindern. Brav hat die Regierung für alle Fälle bereits das Datum für eine dritte Abstimmungsrunde ins Auge gefaßt: gleich nach den nächsten Parlamentswahlen 1995. Irgendwann muß doch Tschernobyl vergessen sein! Reinhard Wolff

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