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Nicht postmodern, nicht minimal

■ ... nicht einmal revolutionär: Anne Teresa De Keersmaeker mit „Bach“ im Frankfurter Theater am Turm

Inzwischen ist sie Ballettchefin der Brüsseler Oper La Monnaie, hat sich den international äußerst renommierten amerikanischen „Bessie Award“ für Tanz abbuchen dürfen, erhielt in diesem Sommer auf dem Holland Festival in Amsterdam eine ausführliche Retrospektive ihres tänzerischen Werks (Pina Bausch ist in Amsterdam erst im nächsten Jahr an der Reihe) und brachte soeben eine Uraufführung ihres Tanz-Konzerts mit dem schlichten Titel „Bach“ hinter sich: ein klassisches Meisterwerk der 1960 geborenen Anne Teresa De Keersmaeker.

Aus der Minimalistin, die auf Steve Reich tanzen ließ und die damit die Präzision des Nichts-Tanzens zur Perfektion trieb, ist eine Interpretin von Bach-Fugen und -fantasien geworden. Ein Abstieg? Eine Neueroberung von Bach? Auf der hellen Holzbühne sind drei Sterne gezeichnet, am Rande stehen bei Keersmaekers die unvermeidlichen sechs Stühle, auf denen drei Tänzerinnen und ein Tänzer in unvermeidlich dunkler Garderobe sich ihrer Schuhe und der Jacketts entledigen, so wie bei der belgischen Choreographin seit je üblich: eine festliche Vorbereitung zum Tanz. Vor ihnen spielt Martine Chappuis am Klavier die erste Toccata (ein Stück freilich für Cembalo): Die Musik soll führen, der Tanz die Musik nicht untermalen, sie nicht illustrieren, sie nicht konterkarieren. Was sonst? Bachs „Fantasie und Fuge, a-moll BWV 904“ ist die wörtlichste Antwort: von De Keersmaekers mehr als Fuge denn als Fantasie interpretiert. Streng getanzte Ritornando folgen der Musik keineswegs Note für Note, sondern setzen weitläufige Akzente, markieren nur an wenigen Akkordeinsätzen die tiefe Beziehung zu Bachs Musik.

Das äußerste Gegenteil geschieht zu Bachs Französischer Suite V (BWV 816): Eine Fantasie zu herbeizitierten Volkstänzen, die in atemberaubender Geschwindigkeit, diesmal exakt auf die Note genau getanzt werden. Immer ein spöttisch-vergnügtes Lächeln auf den Lippen – ein Staccatotanz mit einem hochmotorischen Gestenablauf, wie er von der einstigen Minimalistin noch nie gesehen wurde: ein Triumph an Körperbeherrschung, ein durch und durch unklassischer Tanz, ein ironisches Häppchen, so wie es Bach verstanden haben könnte, Körperzauber ohne jede Akrobatik-Allüren, wie sie in den letzten Jahren in Mode kamen. Ein Tanz, der nachträglich von historischer Wichtigkeit erscheint, da ihm jede Titulierung abgeht: nicht postmodern, nicht minimal, nicht brachial, nicht orthodox, nicht einmal revolutionär.

De Keersmaekers ist mit „Bach“ gelungen, was Puristen der Avantgarde stets für den verkehrten Weg gehalten haben: einen Rückweg zur Klassik, ohne klassisch zu sein, eine Verleugnung der Moderne, ohne sie zu verraten, eine eigene Handschrift, ohne Bach zu verletzen. Nur eine Befürchtung bleibt: Mit Anne Teresa De Keersmaeker könnte der Beginn einer neuen choreographischen Klassik eingeläutet sein, fernab vom Kitsch eines Maurice Bejart und weit weg von der Melodramatik eines John Neumeier. Arnd Wesemann

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