: Intervention möglich
Das britische Sendeverbot für „Terroristen“ geht ins sechste Jahr ■ Von David Miller
Am 19. Oktober 1988 trat in Großbritannien ein Erlaß in Kraft, der direkte Interviews mit Mitgliedern von elf irischen Organisationen in Funk und Fernsehen verbot. Dies war nur eine von vielen Maßnahmen, die Ende 1988, nach einer Reihe schwerer IRA-Angriffe auf britische Ziele, ergriffen wurden. Der damalige Innenminister Douglas Hurd (heute britischer Außenminister, Anm. d. Ü.) sagte damals, man habe dieses Verbot ausgesprochen, weil „die Terroristen sich durch Zugang zu Funk und Fernsehen einen Teil ihrer Unterstützung holen. Die Regierung hat entschieden, daß es an der Zeit ist, diese allzuleicht zugängliche Bühne denen zu entziehen, die von ihr herab nur Terrorismus predigen.“ Die Frage ist nun, ob das Verbot in den vergangenen fünf Jahren sein Ziel erreicht hat, nämlich „Terroristen“ vom Bildschirm fernzuhalten, und ob das die Propagierung von „Terrorismus“ erschwert hat.
Zuallererst ist festzuhalten, daß der bewaffnete Kampf der IRA durch das Sendeverbot kaum berührt wurde: Bombenanschläge und Morde gehen weiter. Tatsächlich ist auch schwer nachprüfbar, inwieweit die „Terroristen“ sich vor dem Verbot durch Funk- und Fernsehauftritte tatsächlich Unterstützung und Ermutigung holten, da seit 1979 ohnehin schon keine aktiv sich zur IRA oder INLA (Irish National Liberation Army) bekennenden Mitglieder im britischen Fernsehen mehr auftreten durften – und das war neun Jahre vor dem Verbot. Interviews mit Mitgliedern von IRA und INLA waren ohnehin eine Seltenheit gewesen und hörten sofort auf, als die Organisationen verboten wurden.
Das Auftrittsverbot zielte daher nicht wirklich auf Aktionen der IRA (oder irgendeine der anderen, im Gesetz benannten, illegalen Gruppierungen), sondern ganz spezifisch auf die Möglichkeiten von Sinn Fein, einer legalen politischen Partei, als normale demokratische Organisation zu funktionieren.
Seit Einführung des Erlasses, und um unparteiisch zu wirken, hat die britische Regierung auch der anderen wichtigen und legalen Organisation (Schirmherrin der protestantischen Paramilitärs), der UDA, Auftrittsverbot erteilt. Diese jedoch hatte nie besonders großes Gewicht auf Öffentlichkeitsarbeit gelegt und schien durch das Verbot kaum berührt. Interviews mit UDA-Mitgliedern haben ohnehin nie auch nur im entferntesten die politischen Stürme im Wasserglas hervorgerufen wie Fernsehauftritte von IRA- oder Sinn-Fein-Mitgliedern.
Der Erlaß verbietet die Übertragung von Worten, die für eine der in ihm benannten Organisationen „Unterstützung, Werbung oder Werbung zur Unterstützung“ bedeuten beziehungsweise alles, was eine Person sagt, die eine der benannten Organisationen „repräsentiert oder vorgibt zu repräsentieren“.
Während es technisch weiterhin möglich ist, Mitglieder von Sinn Fein und sogar der IRA direkt im Funk sprechen zu lassen, solange sie als Privatpersonen reden, oder Untertitel beziehungsweise voice- overs zu Hilfe zu nehmen, sobald jemand Sinn Fein „repräsentiert“, ist die Wirkung des Verbots dennoch deutlich zu merken. Die Zahl der Interviews mit Sinn Fein ist seit Einführung des Verbots erheblich zurückgegangen. In den zwei Monaten direkt nach dem Verbot, November und Dezember 1988, nahm die Präsenz von Sinn Fein auf britischen Fernsehschirmen um 63 Prozent ab – und in den vier Jahren danach wurden Interviews noch seltener. Diese Entwicklung wurde verstärkt durch die unbestimmte Formulierung des Erlasses und durch den Druck, der insgesamt von der britischen Regierung auf die Sendeanstalten ausgeübt wurde. Wer in einem ständig unter Zeitdruck arbeitenden Nachrichtenstudio lieber auf Nummer Sicher geht, läßt Sinn Fein gleich ganz aus, als sich mit juristischen Feinheiten der Berichterstattung herumzuschlagen. Hinzu kommen Indizien, daß die Zensur einen Schneeballeffekt hatte, das heißt, daß auch andere kritische Stimmen aus und über Nordirland, selbst wenn sie Sinn Fein nicht unterstützten, zunehmend ausgeblendet wurden. Das berühmteste Beispiel ist wohl das Verbot des Songs „Streets of Sorrow/Birmingham Six“ von den Pogues aufgrund einer „generellen Meinungsverschiedenheit darüber, wie die britische Regierung auf die terroristische Bedrohung im Vereinigten Königreich reagiert und wie seine Gerichte mit ihr umgehen“. Im Lied der Pogues wird davon ausgegangen, daß sowohl die „Guilford Four“ als auch die „Birmingham Six“, in den siebziger Jahren für IRA-Bombenanschläge in Haft genommen, unschuldig sind. Inzwischen haben sogar die britischen Gerichte akzeptiert, daß alle zehn Beteiligten in der Tat unschuldig im Gefängnis saßen, aber der Rundfunkrat hat auf Anfrage nur mitgeteilt, daß es „sehr unwahrscheinlich“ sei, daß er intervenierte, würde das Lied in Funk oder Fernsehen heute gespielt ...
Ein weiterer Fall der Ausweitung des Verbots lag vor in der BBC-Sendung „Nation“, in der eine Diskussion über die Rechtfertigung von Gewalt als Mittel in der politischen Auseinandersetzung stattfand. In dieser Sendung trat als Zeugin für Nordirland auch Bernadette McAliskey (früher Devlin) auf, eine bekannte politische Aktivistin und frühere Abgeordnete des britischen Parlaments. Aufgrund der folgenden Passage wurde fast ihre gesamte Aussage, einschließlich dieser, nur per Untertitel dem Publikum vorgelegt: „Um ehrlich zu sein, wenn ich vollkommen dahinterstünde und wenn ich es absolut rechtfertigen könnte, würde ich zur IRA gehen. Aber weil ich keine Soldatin bin und weil ich persönlich es nicht völlig rechtfertigen kann, tue ich es nicht. Aber ich kann es verstehen, ich kann es erklären, ich kann es formulieren und dann, wie ich glaube, einen rationalen Weg da heraus anbieten, nämlich den von Diskussionen und Verhandlungen, und zwar überall auf der Welt.“
Diese Worte waren für die BBC-Anwälte offenbar schon eine „Unterstützung“ der IRA und fielen damit unter das Verbot. Das heißt, daß Rundfunkleute inzwischen ein Verständnis für die Aktionen der IRA offenbar schon als Unterstützung der IRA interpretieren dürfen. In beiden Fällen, in bezug auf das Lied der Pogues und die Aussagen von Bernadette McAliskey, haben Rundfunkverantwortliche selbst dafür gesorgt, daß das Verbot weiter gefaßt wird, als die Regierung selbst ausdrücklich verlangt.
Bernadette McAliskey ist vor Gericht gegangen, um die BBC zu zwingen, ihre Entscheidung zu widerrufen, und sie hat den Fall auch dem Europäischen Gericht für Menschenrechte vorgelegt. (Beide Fälle sind noch nicht entschieden.)
Auf europäischer Ebene gibt es zwei weitere Versuche, den Erlaß los zu werden, und zwar durch einen kommunalen Abgeordneten von Sinn Fein, Mitchell MacLaughlin, und die britische Journalistengewerkschaft NUJ. Eingeweihte sind allerdings nicht optimistisch. Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich schon einmal mit dem Verbot beschäftigt, als nämlich 17 irische Journalisten, unterstützt von ihrer Gewerkschaft, das Sendeverbot als Menschenrechtsverletzung anerkannt haben wollten. Die Kommission wies den Fall zurück, da die Auswirkungen des Verbots minimal seien, und beschäftigte sich gar nicht erst mit Notwendigkeit oder spezifischen Wirkungen der Restriktionen.
Der Verbotserlaß ist nur Teil des Gesamtrepertoires der Informationspolitik zu Nordirland durch die britische Regierung. Seit 1971 haben Rundfunkverantwortliche bereits akzeptiert, daß sie in der Berichterstattung über Nordirland nicht vollkommen unparteilich sind. Vor der direkten Intervention, die der Erlaß signalisierte, hat eine Regierung nach der anderen zunehmend Druck auf die Rundfunkanstalten ausgeübt, damit nicht alle Positionen in Nordirland gleichberechtigt der britischen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dieser Druck, dem Drohungen und Gerichtsverfahren zur Wirkung verhalfen, nahm unter Margaret Thatcher und ihren Kabinetten in den achtziger Jahren noch zu.
Hinzu kommt die regelmäßige Desinformation durch offizielle Kreise, besonders die nordirische Polizei RUC und die Armee, sowie das euphemistische Gerede des Nordirlandministeriums, daß „alles sich normalisiert hat“.
Selbst wenn das Sendeverbot aufgehoben würde, wäre die Öffentlichkeit in Großbritannien längst nicht gut genug informiert, um auch nur im entferntesten den Konflikt in Nordirland begreifen zu können. Die öffentliche Auseinandersetzung über Nordirland stößt inzwischen auf derartiges Desinteresse, daß einiges geschehen müßte, um den Konflikt in Nordirland einer rationalen Diskussion und politischen Lösung nahezubringen.
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